Die Verpflichtung zur elektronischen Abgabe der Einkommensteuererklärung

Die Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG ist wirtschaftlich unzumutbar i.S. von § 150 Abs. 8 Sätze 1 und 2 AO, wenn der finanzielle Aufwand für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Datenfernübertragungsmöglichkeit in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zu den Einkünften nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG steht.

Die Verpflichtung zur elektronischen Abgabe der Einkommensteuererklärung

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall  hatte ein seit 2006 selbständiger Physiotherapeut geklagt. Mitarbeiter und Praxis-/Büroräume hatte er nicht, ebenso wenig einen Internetzugang. Bis einschließlich 2016 veranlagte ihn das Finanzamt auf der Grundlage der handschriftlich ausgefüllten amtlichen Erklärungsvordrucke zur Einkommensteuer. Für das Streitjahr 2017 forderte es den Physiotheratpeuten mehrfach erfolglos zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung auf und setzte daraufhin ein Zwangsgeld gegen ihn fest. Seinen Antrag, von der Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe befreit zu werden, lehnte das Finanzamt ab. Die dagegen erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg Erfolg[1]. Das Finanzgericht verpflichtete das Finanzamt, auf die elektronische Erklärungsabgabe zu verzichten, und hob die Festsetzung des Zwangsgeldes auf. Der Bundesfinanzhof bestätigte die finanzgerichtliche Entscheidung und wies die Revision des Finanzamtes zurück:

Gemäß § 150 Abs. 8 Satz 1 AO i.V.m. § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG muss die Finanzbehörde auf Antrag zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung der Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung verzichten, wenn eine solche Erklärungsabgabe für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Wirtschaftliche Unzumutbarkeit liegt insbesondere vor, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre. Ob ein nicht unerheblicher finanzieller Aufwand anzunehmen ist, kann nur unter Berücksichtigung der betrieblichen Einkünfte des Steuerpflichtigen im Sinne des  § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 EStG entschieden werden. Denn die Härtefallregelung soll Kleinstbetriebe privilegieren. Da der Kläger im Streitjahr nur 14.534 € aus seiner selbständigen Arbeit erzielt hatte, ging der BFH von einer einem Kleinstbetrieb vergleichbaren Situation aus. Die elektronische Erklärungsabgabe konnte daher nicht rechtmäßig angeordnet werden und so auch das Zwangsgeld zu ihrer Durchsetzung keinen Bestand haben.

Das Finanzgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Anspruch aus § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 150 Abs. 8 AO hat, im Streitjahr von der elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung befreit zu werden. Das Finanzgericht hat auch zu Recht den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung des Zwangsgeldes aufgehoben.

Gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG haben Steuerpflichtige der Finanzbehörde ihre Einkommensteuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln, wenn sie Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG erzielen und es sich nicht um einen der Veranlagungsfälle gemäß § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 8 EStG handelt. Die Finanzbehörde ist jedoch nach Satz 2 der Vorschrift auf Antrag des Steuerpflichtigen berechtigt, zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung durch Datenfernübertragung zu verzichten.

§ 150 Abs. 8 AO ergänzt diese Regelung dahingehend, dass dem Antrag zu entsprechen ist, wenn die unbillige Härte darin besteht, dass dem Steuerpflichtigen die Erklärungsabgabe nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung wirtschaftlich oder persönlich nicht zumutbar ist. Abweichend von § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG hat die Finanzbehörde in den Fällen des § 150 Abs. 8 AO keinen Ermessensspielraum. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wurde durch § 150 Abs. 8 AO „in Ergänzung der einzelgesetzlichen Regelungen“[2] der nach den Einzelsteuergesetzen bestehende Ermessensspielraum bei der Entscheidung über einen Härtefallantrag in den in § 150 Abs. 8 AO aufgeführten Fällen der wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit zugunsten der Steuerpflichtigen beseitigt und ein Anspruch auf Befreiung begründet[3].

Danach ist der Anspruch des Steuerpflichtigen nach § 150 Abs. 8 AO auf Befreiung von der Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe in den Fällen der wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit vorrangig gegenüber dem nach den Einzelsteuergesetzen bestehenden Anspruch des Steuerpflichtigen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und daher der Anspruch nach § 25 Abs. 4 Satz 2 EStG auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Befreiungsantrag erst zu prüfen, wenn das Vorliegen einer wirtschaftlichen oder persönlichen Unzumutbarkeit i.S. von § 150 Abs. 8 AO zu verneinen ist[4].

Nach diesen Vorgaben hat das Finanzgericht zu Recht angenommen, dass die elektronische Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr nebst Anlage EÜR für den Kläger wirtschaftlich unzumutbar i.S. des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO ist.

Wirtschaftliche Unzumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO liegt gemäß § 150 Abs. 8 Satz 2 Alternative 1 AO insbesondere vor, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine Datenfernübertragung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre. Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei wirtschaftlicher Zumutbarkeit der Anschaffung allein das Fehlen der für eine elektronische Übermittlung der Steuererklärung erforderlichen Technik keinen Anspruch i.S. des § 150 Abs. 8 Satz 1 AO auf Befreiung von der Abgabe der Steuererklärung in elektronischer Form begründet[5]. Nicht ausdrücklich geregelt ist indes, unter welchen Voraussetzungen die Grenze zu einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand überschritten ist. Das Finanzgericht hat in der angefochtenen Entscheidung angenommen, dass diese Grenze überschritten sei, wenn die Schaffung der technischen Voraussetzungen in keinem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis mehr zu den Einkünften stehe, für die nach § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG die Einkommensteuererklärung durch Datenfernübertragung zu übermitteln sei. Dieser Auffassung schließt sich der Bundesfinanzhof an. Wie das Finanzgericht zutreffend erkannt hat, folgt aus der gesetzlichen Systematik, dass dem finanziellen Aufwand für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Datenfernübertragungsmöglichkeit ausschließlich die Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG gegenüberzustellen sind. Zwar ist nach der Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung von der Höhe der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG grundsätzlich unabhängig. § 150 Abs. 8 AO sieht jedoch gerade ein Korrektiv dafür vor, dass § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG lediglich an das Bestehen von Einkünften i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG anknüpft, ohne die mit der Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine Datenfernübertragung verbundene finanzielle Belastung für den Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

Für diese Auslegung des Merkmals der wirtschaftlichen Zumutbarkeit i.S. des § 150 Abs. 8 AO spricht auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 150 Abs. 8 AO bewusst eine „großzügige Ausnahmeregelung“ eingeführt und diese „so weit gefasst“ hat, dass die „ungerechtfertigte Versagung einer Ausnahmegenehmigung ausgeschlossen“ sein sollte[6]. Insbesondere „Kleinstbetriebe“ sollten sich auf die Härtefallregelung in § 150 Abs. 8 AO berufen können[7]. Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist dahingehend Rechnung zu tragen, dass über die Anwendung der Härtefallregelung des § 150 Abs. 8 AO lediglich unter Berücksichtigung der Einkünfte i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG zu entscheiden ist. Mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Privilegierung von Kleinstbetrieben wäre es nicht vereinbar, wenn über die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit auch in Abhängigkeit von den mit dem Betrieb nicht in Zusammenhang stehenden finanziellen Verhältnissen des Steuerpflichtigen entschieden würde.

Auch bezogen auf den Streitfall ist die Würdigung des Finanzgericht, die Kosten der für die Schaffung der technischen Voraussetzungen für eine elektronische Erklärungsabgabe stünden nicht mehr in einer wirtschaftlich sinnvollen Relation zur Höhe der vom Kläger erzielten selbständigen Einkünfte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf den Charakter von § 150 Abs. 8 AO als großzügig anzuwendende Ausnahmevorschrift sieht der Bundesfinanzhof bei den vom Kläger aus seiner selbständigen Tätigkeit im Streitjahr erzielten Einkünften in Höhe von 14.534 € eine einem Kleinstbetrieb vergleichbare Situation als gegeben an. Das Finanzgericht hat zu Recht angenommen, dass gegenüber dieser Einkunftshöhe die Kosten für die Umstellung auf den elektronischen Verkehr mit dem Finanzamt, zu denen nicht nur die Aufwendungen für die Bereitstellung einer Internetverbindung, sondern auch für die Anschaffung oder Umrüstung und dauerhafte Pflege der erforderlichen Hard- und Software gehören, erheblich ins Gewicht fallen. Hinsichtlich der Übermittlung der Anlage EÜR folgt dies aus § 60 Abs. 4 Satz 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, der insoweit eine entsprechende Anwendung des § 150 Abs. 8 AO vorsieht.

Das Finanzgericht hat auch zu Recht den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung des Zwangsgeldes aufgehoben. Die Fehlerhaftigkeit der Anordnung der elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung nebst Anlage EÜR macht auch die nachfolgende Festsetzung des Zwangsgeldes rechtswidrig, weil Verwaltungsakte, die auf Vornahme einer Handlung gerichtet sind, nur dann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden können (§ 328 Abs. 1 AO), wenn sie rechtmäßig sind[8]. Das ist hier, wie ausgeführt, nicht der Fall. Der Bundesfinanzhof kann daher offenlassen, ob der angefochtene Bescheid auch deshalb aufzuheben war, weil, wie das Finanzgericht meint, das Finanzamt das ihm insoweit eingeräumte Ermessen nicht bzw. fehlerhaft ausgeübt hat.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Juni 2020 – VIII R 29/19

  1. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.08.2019 – 4 K 4231/18[]
  2. vgl. BT-Drs. 16/10940, 10[]
  3. BT-Drs. 16/10910, 1, und BT-Drs. 16/10940, 10; vgl. auch BFH, Urteil vom 14.03.2012 – XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477[]
  4. vgl. auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 150 AO Rz 54[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, Rz 58, zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen[]
  6. BT-Drs. 16/10940, 3[]
  7. BT-Drs. 16/10940, 3 und 10[]
  8. BFH, Urteile vom 11.08.1992 – VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346; und vom 15.09.1992 – VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76[]