Fristen im Finanzgerichtsverfahren – und das noch nicht zugeteilte "besondere elektronische Steuerberaterpostfach"

Steuerberatern steht seit dem 01.01.2023 mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung, so dass sie in finanzgerichtlichen Verfahren seit diesem Zeitpunkt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente übermitteln müssen. Beantragt ein Steuerberater wegen Nichtnutzung des beSt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) mit der Begründung, dass er bei Ablauf der Frist für die Nutzung des beSt noch nicht freigeschaltet worden sei, muss er darlegen, weshalb er nicht von der Möglichkeit der Priorisierung seiner Registrierung (sog. fast lane) Gebrauch gemacht hat.

Fristen im Finanzgerichtsverfahren – und das noch nicht zugeteilte "besondere elektronische Steuerberaterpostfach"

In einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ging im Januar 2023 beim Bundesfinanzhof die Beschwerdebegründung eines Steuerberaters per Telefax ein. Auf den Hinweis der Geschäftsstelle, dass die Beschwerdebegründung seit dem 01.01.2023 als elektronisches Dokument übermittelt werden muss, legte der Steuerberater im Februar 2023 die Begründung (durch einen unterbevollmächtigten Rechtsanwalt) in elektronischer Form vor und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO). Er habe die Beschwerdebegründung nicht elektronisch übermitteln können, weil die Einrichtung seines beSt durch die zuständige Steuerberaterkammer noch nicht erfolgt sei. Beigefügt war ein Schreiben der Steuerberaterkammer vom September 2022. In diesem wurde darauf hingewiesen, dass für Steuerberater, die aktiv in die finanzgerichtliche Kommunikation eingebunden sind, die Möglichkeit besteht, sich für eine Priorisierung („fast lane“) anzumelden. Vortrag dazu, weshalb die Anmeldung für die „fast lane“ nicht erfolgt ist, enthielt der Wiedereinsetzungsantrag nicht.

Der Bundesfinanzhof verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig, weil die Beschwerdebegründung verspätet in elektronischer Form übermittelt worden sei. Die beantragte Wiedereinsetzung lehnte der Bundesfinanzhof ab, weil die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, nicht vollständig dargelegt worden seien. Es fehle insbesondere der Vortrag, weshalb von der (aufgrund des Hinweises bekannten) „fast lane“ kein Gebrauch gemacht worden ist:

Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt. Das Urteil des Finanzgericht ist der Klägerin am 20.10.2022 zugestellt worden. Die antragsgemäß verlängerte Frist zur Begründung der form- und fristgerecht erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde lief gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 und 4 FGO am 20.01.2023 ab. Die per beA eingereichte Beschwerdebegründung vom 23.02.2023 ist verspätet eingegangen und hat die Frist nicht gewahrt. Die am 20.01.2023 per Telefax eingegangene Beschwerdebegründung ist nicht in der gebotenen Form eingereicht worden. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus[1].

Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der FGO vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 4 FGO zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Halbsatz 1 oder Nr. 2 FGO vertretungsbefugte Personen.

Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i.S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung; denn seit dem 01.01.2023 (§ 157e StBerG) richtet die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG). Steuerberater sind mit der Einrichtung des Postfachs, spätestens aber ab diesem Zeitpunkt, nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig[2]. Dies ist vorliegend nicht geschehen, sodass das Telefax die Begründungsfrist nicht gewahrt hat.

Die Klägerin hat nicht hinreichend dargelegt, dass sie bzw. ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden daran gehindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll.

Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen[3].

Jedes Verschulden -mithin auch einfache Fahrlässigkeit- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus[4]. Nach § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 FGO muss sich jeder Beteiligte das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen[5]; ein beim Prozessbevollmächtigten angestellter, verantwortlich tätiger Steuerberater, der nicht nur unselbständige Hilfs- und Bürotätigkeiten ausübt, ist insoweit einem Bevollmächtigten i.S. des § 85 Abs. 2 ZPO gleichgestellt[6].

Ausgehend davon erfüllt der Wiedereinsetzungsantrag vom 23.02.2023 bereits die o.g. Darlegungsanforderungen nicht. Der Antrag erläutert nicht, weshalb der Prozessbevollmächtigte nicht von der Möglichkeit der Nutzung der „fast lane“ Gebrauch gemacht hat.

Dass die Möglichkeit der Nutzung der „fast lane“ für Berufsträger, die aktiv in die finanzgerichtliche Kommunikation eingebunden sind, besteht, war dem Prozessbevollmächtigten aufgrund des Schreibens der Steuerberaterkammer bekannt. Sowohl bereits aufgrund der Einlegung der Beschwerde im November 2022 als auch aufgrund des Antrags auf Gewährung von Fristverlängerung im Dezember 2022 musste ihm bewusst sein, dass er zu dem im Schreiben genannten Personenkreis gehört.

Aufgrund des Bundesfinanzhofs, Beschlusses in BFH/NV 2022, 1057, Rz 9 musste dem Prozessbevollmächtigten außerdem bewusst sein, dass er ab dem 01.01.2023 gemäß § 52d Satz 2 FGO zur aktiven elektronischen Kommunikation mit dem Bundesfinanzhof verpflichtet sein wird.

Weshalb den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trotz dieser beiden Umstände kein Verschulden daran treffen soll, die „fast lane“ nicht genutzt zu haben, um eine frühere Registrierung und Implementierung in die Kanzleisoftware zu ermöglichen, begründet die Beschwerde nicht. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde deshalb vom Bundesfinanzhof abgelehnt.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28. April 2023 – XI B 101/22

  1. vgl. BFH, Beschlüsse vom 27.04.2022 – XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, Rz 12; vom 23.08.2022 – VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83, Rz 9; vom 29.11.2022 – VIII B 88/22 Rz 6[]
  2. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2022, 1057, Rz 9; s.a. Brandis in Tipke/Kruse, § 52d FGO Rz 1; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 52d FGO Rz 15; Rauch, HFR 2022, 949, 951; Peters, juris PraxisReport Steuerrecht 45/2022 Anm. 2; Pohl, Die Steuerberatung 2022, 426, 429[]
  3. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 13.09.2012 – XI R 40/11, BFH/NV 2013, 213, Rz 14; vom 04.08.2020 – XI R 15/18, BFH/NV 2021, 29, Rz 18[]
  4. vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 17.02.2010 – I R 38/09, BFH/NV 2010, 1283; vom 13.09.2012 – XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212, Rz 12[]
  5. vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 15.05.2019 – XI R 14/17, BFH/NV 2019, 924, Rz 7[]
  6. vgl. BFH, Beschluss vom 05.05.2020 – XI R 33/19, BFH/NV 2020, 907, Rz 23, m.w.N.[]