Abzinsung von Angehörigendarlehen

Unverzinsliche (betriebliche) Verbindlichkeiten aus Darlehen, die ein Angehöriger einem Gewerbetreibenden, Selbständigen oder Land- und Forstwirt gewährt, sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abzuzinsen, wenn der Darlehensvertrag unter Heranziehung des Fremdvergleichs steuerrechtlich anzuerkennen ist. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen für den Bundesfinanzhof nicht.

Abzinsung von Angehörigendarlehen

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind (betriebliche) Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5, 5 % abzuzinsen. Ausgenommen von der Abzinsung sind Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG). Die Verpflichtung zur Abzinsung gilt für Sachleistungsverpflichtungen ebenso wie bei Geldleistungsverpflichtungen[1].

Eine betriebliche Verbindlichkeit liegt vor, wenn der auslösende Vorgang einen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb aufweist. Demgemäß sind Darlehensverbindlichkeiten dem Betriebsvermögen zuzuordnen, wenn die Kreditmittel für betriebliche Zwecke, beispielsweise zur Anschaffung von Wirtschaftsgütern oder zur Ablösung anderer Betriebsschulden, verwendet werden[2]. Auf die Person des Gläubigers oder seine Beweggründe kommt es nicht an[3], so dass auch bei einem Gefälligkeitsdarlehen unter Verwandten allein der vom Darlehensnehmer mit der Darlehensaufnahme verfolgte Zweck entscheidend ist[4].

Darlehen, die einem Betriebsinhaber von einem Angehörigen gewährt werden, sind allerdings nicht dem Betriebsvermögen, sondern dem Privatvermögen des Betriebsinhabers zuzuordnen, wenn sie zwar zivilrechtlich, aber unter Heranziehung des Fremdvergleichs steuerrechtlich nicht anzuerkennen sind. Daraus folgt nicht nur, dass Zinsen hierfür nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig sind, sondern auch, dass die Darlehensvaluta selbst dem Privatvermögen des Betriebsinhabers zuzuordnen ist. Wenn und soweit der Darlehensbetrag dem betrieblichen Konto gutgeschrieben wird, ist dieser in der Bilanz daher zwingend als Einlage zu erfassen[5]. Eine Abzinsung scheidet in diesem Fall notwendigerweise aus[6].

Maßgebend für die Beurteilung, ob Verträge zwischen nahen Angehörigen durch die Einkunftserzielung (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 EStG) veranlasst oder aber durch private Zuwendungs- oder Unterhaltsüberlegungen (§ 12 Nrn. 1 und 2 EStG) motiviert sind, ist seit der Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.11.1995[7] die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten. Zwar ist weiterhin Voraussetzung, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart sowie entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht mehr jede Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus[8]. Von wesentlicher Bedeutung ist, ob die Vertragschancen und -risiken in fremdüblicher Weise verteilt sind[9]. Ferner ist von Belang, ob es sich um ein Rechtsgeschäft unter volljährigen, voneinander wirtschaftlich unabhängigen Angehörigen oder um eine Vereinbarung etwa zwischen Eltern und minderjährigen Kindern handelt[10]. Dabei hängt die Intensität der Prüfung des Fremdvergleichs bei Darlehensverträgen zwischen nahen Angehörigen vom Anlass der Darlehensaufnahme ab[11].

Auch unverzinsliche betriebliche Verbindlichkeiten aus Darlehen, die ein Angehöriger einem Gewerbetreibenden, Selbständigen oder Land- und Forstwirt gewährt hat, sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abzuzinsen. Weder lässt sich dem Gesetzeswortlaut eine Einschränkung im Hinblick auf Angehörigendarlehen entnehmen noch verlangt der Zweck der Vorschrift eine Sonderbehandlung solcher Darlehen. Die Abzinsung gründet auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht[12]. Sie beruht auf dem Faktor „Zeit“ und folgt demgemäß dem Grundsatz, dass erst in Zukunft zu erbringende Zahlungen gegenwärtig mit ihrem Barwert abzubilden sind[13]. Diese Überlegung gilt für Angehörigendarlehen nicht anders als für sonstige Darlehensverhältnisse[14].

Der Abzinsungsbetrag kann auch nicht durch Buchung einer Einlage neutralisiert werden. Zwar ist die Zinslosigkeit des Darlehens außerbetrieblich motiviert, bloße Nutzungsvorteile sind jedoch nicht einlagefähig[15]. Ebenso scheidet die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens aus; denn der fiktive Zinsertrag stellt „kein vorab vereinnahmtes Entgelt“ i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG dar[16].

Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Es ist von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt, wenn dieser eine Regelung schafft, die im Fall der Gewährung eines unverzinslichen Darlehens zunächst zu einer -im weiteren Verlauf durch Aufzinsungen kompensierten- Erhöhung des Gewinns beim Darlehensnehmer führt. Die Abzinsung von Darlehen für Zwecke der Besteuerung ist als solche weder sachwidrig noch unverhältnismäßig; sie dient vielmehr der Verteilung des Zinsaufwands nach Maßgabe einer wirtschaftlichen Zuordnung[17]. Zu einer Ausnahmeregelung in Bezug auf Angehörigendarlehen war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, zumal der in diesem Fall eintretende vorzeitige Gewinnausweis durch die Vereinbarung einer -sehr geringen- Verzinsung vermieden werden kann[18].

Darlehen unter nahen Angehörigen, die nach ihrem Anlass wie von einem Fremden gewährt werden, sind trotz fehlender Sicherheiten steuerrechtlich anzuerkennen, wenn das Rechtsgeschäft von volljährigen und voneinander wirtschaftlich unabhängigen Angehörigen geschlossen und tatsächlich durchgeführt wurde[19]. Schließlich spricht auch die Ertraglosigkeit des Darlehens nicht gegen die Fremdüblichkeit der Darlehensverträge. Auch unter Fremden und im Verhältnis Gesellschafter/Gesellschaft ist die Hingabe eines zinslosen Darlehens denkbar und steuerrechtlich zu berücksichtigen. Denn dies bestätigt der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG und die hierzu ergangene Rechtsprechung.

Die Darlehensverbindlichkeiten ist in derartigen Fällen daher gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG mit 5, 5 % abzuzinsen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 13. Juli 2017 – VI R 62/15

  1. BFH, Urteil vom 05.05.2011 – IV R 32/07, BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98[]
  2. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 – GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter C.II. 3.d[]
  3. BFH, Urteile vom 11.02.1955 8/55 U, BFHE 60, 311, BStBl III 1955, 119; vom 12.07.2012 – I R 23/11, BFHE 238, 344; und BFH, Urteil vom 07.05.1965 – VI 217/64 U, BFHE 82, 548, BStBl III 1965, 445[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 60, 311, BStBl III 1955, 119[]
  5. BFH, Beschluss vom 22.04.2015 – IV B 76/14, BFH/NV 2015, 976[]
  6. Kiesel in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 6 EStG Rz 702[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 07.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34, unter B.I. 2.[]
  8. zum Ganzen BFH, Urteile vom 16.12 1998 – X R 139/95, BFH/NV 1999, 780, unter II. 1.; und vom 13.07.1999 – VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386, unter 2.a, m.w.N.; BMF, Schreiben vom 23.12 2010, BStBl I 2011, 37, Rz 8[]
  9. BFH, Urteil vom 25.01.2000 – VIII R 50/97, BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393, unter II. 2.[]
  10. BFH, Urteil vom 04.06.1991 – IX R 150/85, BFHE 165, 53, BStBl II 1991, 838[]
  11. BFH, Urteil vom 22.10.2013 – X R 26/11, BFHE 242, 516, BStBl II 2014, 374[]
  12. BFH, Beschluss vom 06.10.2009 – I R 4/08, BFHE 226, 347, BStBl II 2010, 177, mit Anm. Buciek, Finanz-Rundschau -FR- 2010, 341; BFH, Urteile vom 27.01.2010 – I R 35/09, BFHE 228, 250, BStBl II 2010, 478; und vom 08.11.2016 – I R 35/15, BFHE 256, 253, BStBl II 2017, 768, Rz 28 f.; auch BT-Drs. 14/23, 171[]
  13. BFH, Urteile in BFHE 256, 253, BStBl II 2017, 768, und in BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98[]
  14. Schmidt/Kulosa, EStG, 36. Aufl., § 6 Rz 457; HHR/Kiesel, § 6 EStG Rz 702[]
  15. BFH, Beschluss vom 26.10.1987 – GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348; BFH, Beschluss in BFHE 226, 347, BStBl II 2010, 177; Groh, DB 2007, 2275, 2278; Stadler/Bindl, DB 2010, 862[]
  16. Stadler/Bindl, DB 2010, 862, 863; Bareis, FR 2013, 170, 171; wohl a.A. Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 956[]
  17. Groh, DB 2007, 2275, 2277[]
  18. s. BFH, Beschluss in BFHE 226, 347, BStBl II 2010, 177, unter II. 5. zu Gesellschafterdarlehen; HHR/Kiesel, § 6 EStG Rz 700; Schindler in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 6 Rz 149, 150; Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 956; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 457[]
  19. BFH, Urteile in BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393; in BFHE 165, 53, BStBl II 1991, 838; vom 18.12 1990 – VIII R 1/88, BFHE 163, 444, BStBl II 1991, 911; und vom 04.03.1993 – X R 70/91, BFH/NV 1994, 156[]