„Feste freie Mitarbeiter“ einer Rundfunkanstalt

Können „freie Mitarbeiter“ sozialversicherungsrechtlich Arbeitnehmer und steuerlich trotzdem selbständig sein? Und fällt in diesem Fall auf die vom Dienstherrn aufgrund der abweichenden sozialversicherungsrechtlichen Einordnung zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge Umsatzsteuer an? Diese Frage hatte jetzt der Bundesfinanzhof aufgrund der Klage eines „festen freien Mitarbeiters“ einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zu entscheiden. Die Antwort des BFH:

„Feste freie Mitarbeiter“ einer Rundfunkanstalt

Unternehmer sind nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 UStG selbständig tätig und daher im Regelfall nicht sozialversicherungspflichtig. Gesetzlich geschuldete Sozialversicherungsbeiträge können kein Entgelt i.S. von § 10 UStG sein.

Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG ist gewerblich oder beruflich jede Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.

Diese Vorschriften beruhen gemeinschaftsrechtlich auf Art. 4 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie[1] (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Abs. 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG schließt der in Abs. 1 verwendete Begriff „selbständig“ Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind die einzelnen Merkmale, die für und gegen die Selbständigkeit i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG sprechen, unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse gegeneinander abzuwägen[2]. Selbständigkeit in der Organisation und bei der Durchführung der Tätigkeit, Unternehmerrisiko, Unternehmerinitiative, Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb, geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern sprechen für persönliche Selbständigkeit, Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolgs, Ausführung von einfachen Tätigkeiten, die regelmäßig weisungsgebunden sind, sprechen gegen die Selbständigkeit der Tätigkeit[3].

Besondere Bedeutung kommt dem Handeln auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung und dem Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko) zu. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit; ist der Steuerpflichtige von einem Vermögensrisiko der Erwerbstätigkeit grundsätzlich freigestellt, spricht dies gegen Selbständigkeit[4].

Dies entspricht dem Gemeinschaftsrecht. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG liegt keine selbständige Tätigkeit vor, wenn ein festes Monatsgehalt und ein jährliches Urlaubsgeld gezahlt werden, von dem Gehalt weiter Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge einbehalten werden, und wenn nicht für eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung gehandelt wird[5].

Die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen ist für die Umsatz-, die Einkommen- und die Gewerbesteuer grundsätzlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. § 1 Abs. 3 LStDV). Dabei kommt der sozial-, arbeits- und einkommensteuerrechtlichen Beurteilung zwar indizielle Bedeutung zu. Eine rechtliche Bindung besteht dabei aber weder an die sozial- und arbeitsrechtliche noch an die ertragsteuerrechtliche Beurteilung[4]. Die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nicht selbständig ausgeübt wird, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten[6]. Die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, sind gegeneinander abzuwägen[7]. Es ist Sache des Finanzgerichts, die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Umstände im jeweiligen Einzelfall gegeneinander abzuwägen.

Unternehmerstellung und Beitragspflicht zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung schließen sich im Regelfall aus (vgl. auch § 1 Abs. 3 LStDV). Während die Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG eine selbständige Tätigkeit voraussetzt, sind unselbständig tätige Arbeiter und Angestellte zur Arbeitslosenversicherung und Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder in ihrer Berufsausbildung beschäftigt und damit gleichfalls unselbständig tätig sind, zur Rentenversicherung beitragspflichtig. Auch wenn keine Bindung an die sozial- und arbeitsrechtliche Beurteilung besteht[8], bedarf es, so der Bundesfinanzhof, besonderer Feststellungen, aufgrund welcher Umstände im Einzelnen ein Unternehmer sozialversicherungspflichtig sein kann. Dabei sind Entscheidungen der zuständigen Sozialversicherungsträger über die Sozialversicherungspflicht von Beschäftigungsverhältnissen grundsätzlich zu berücksichtigen[9], ohne dass ihnen aber für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung rechtliche Bindungswirkung zukommt.

In Fällen wie dem vorliegenden kann für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung darüber hinaus, so der BFH, auch noch zu berücksichtigen sein, dass sog. „feste freie Mitarbeiter“ einer Rundfunkanstalt, die programmgestaltend tätig sind, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Arbeitnehmer sein können[10].

Je nach Ausgang dieser Prüfung bestehen sodann verschiedene Möglichkeiten:

  1. Soweit feststeht, dass der Kläger umsatzsteuerrechtlich kein Unternehmer ist, kann auch keine Umsatzsteuerpflicht bestehen.

  2. Sollte der freie Mitarbeiter umsatzsteuerrechtlich Unternehmer und zugleich von Gesetzes wegen sozialversicherungspflichtig sein, da die Tätigkeit des Klägers aufgrund spezialgesetzlich bestehender Besonderheiten nicht in beiden Bereichen übereinstimmend zu würdigen wäre, läge kein Entgelt i.S. von § 10 Abs. 1 UStG vor, da die Rundfunkanstalt dann eine eigene Verbindlichkeit getilgt hätte.

    Die Bemessungsgrundlage für entgeltliche Leistungen ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG. Danach wird der Umsatz nach dem Entgelt bemessen, wobei Entgelt alles ist, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Dies beruht auf Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, wonach Besteuerungsgrundlage alles ist, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll.

    Nicht zum Entgelt nach § 10 UStG gehören öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden Verpflichtung schuldet, auch wenn sie durch die bezogene Leistung veranlasst sind. So gehört z.B. die Grunderwerbsteuer bei einer nach § 4 Nr. 9 Buchst. a i.V.m. § 9 UStG umsatzsteuerpflichtigen Grundstückslieferung nicht zum Entgelt. Zwar sind Veräußerer und Erwerber des Grundstücks Schuldner der Grunderwerbsteuer nach § 13 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes. Die den Erwerber treffende Steuerschuld führt umsatzsteuerrechtlich jedoch nicht zur Erhöhung des Entgelts. Dies gilt sowohl für den Teil der Grunderwerbsteuer, den der Erwerber als Gesamtschuldner zu tragen hat[11] als auch für den Teil der Grunderwerbsteuer, den der Erwerber für den Veräußerer übernimmt[12]. Dass die Zahlung der Grunderwerbsteuer durch den Erwerber den Grundstückslieferer von seiner Grunderwerbsteuerschuld befreit, ist insoweit ohne Bedeutung.

    Dementsprechend erhöhen auch andere öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden Verpflichtung zu entrichten hat, wie etwa nach dem AFG und dem SGB VI für den Arbeitgeber von Gesetzes wegen bestehenden Beitragspflichten, nicht das Entgelt. Dies gilt auch dann, wenn der Beschäftigte aufgrund der Beitragszahlung des Arbeitgebers sozialversicherungsrechtliche Leistungsansprüche erwirbt.

    Zwar hat der Bundesfinanzhof bereits 2002 entschieden[13], dass Beiträge, die eine Rundfunkanstalt zugunsten ihrer freien Mitarbeiter an die Pensionskasse für freie Mitarbeiter der Deutschen Rundfunkanstalten zahlt, zum Entgelt für die Leistungen der Mitarbeiter gehören. Bei diesen Beiträgen handelte es sich jedoch nicht um gesetzlich geschuldete Sozialversicherungsbeiträge, sondern um Zahlungen an eine Pensionskasse, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhten.

  3. Sollte dagegen eine Unternehmerstellung des freien Mitarbeiters feststehen und hiermit übereinstimmend keine Sozialversicherungspflicht nach dem AFG und dem SGB VI bestehen, hätte es sich bei den von der Rundfunkanstalt entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen, selbst wenn sie „als Pflichtbeiträge“ gezahlt wurden, nicht um Zahlungen aufgrund einer gesetzlichen Abgabenpflicht gehandelt und deshalb um umsatzsteuerpflichtige Aufwendungen für die Leistungen des Klägers nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG.

  4. Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. Juni 2009 – V R 37/08

  1. Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG[]
  2. BFH, Urteil vom 10. März 2005 – V R 29/03, BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730, unter II. a[]
  3. BFH, Urteil vom 30. Mai 1996 – V R 2/95, BFHE 180, 213, BStBl II 196, 493[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730, unter II. a[][]
  5. EuGH, Urteil vom 18.10.2007 – Rs. C-355/06, van der Steen, Slg. 2007, I-8863, BFH/NV Beilage 2008, 48 Rdnrn. 22 f.[]
  6. vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730; BFH, Beschluss vom 19.02.2008 – XI B 205/07, BFH/NV 2008, 1210[]
  7. BFH, Beschluss vom 17.10.2003 – V B 80/03, BFH/NV 2004, 379, und BFH, Urteil vom 29.06.2000 – V R 28/99, BFHE 191, 468, BStBl II 2000, 597[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730, unter II. a, und BFH, Beschlüsse vom 28.02.2002 – V B 31/01, BFH/NV 2002, 957; vom 09.01.2004 – V B 140/03, BFH/NV 2004, 543; vom 17.02.2006 – V B 103/05, BFH/NV 2006, 1361[]
  9. BFH, Urteil vom 06.06.2002 – VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34, unter 2. a[]
  10. BAG, Urteile vom 22.02.1995 – 5 AZR 757/93, AfP 1995, 693-695, und vom 11.12.1996 – 5 AZR 592/95, RzK I 4a Nr. 88[]
  11. BFH, Urteil vom 10.07.1980 – V R 23/77, BFHE 130, 571, BStBl II 1980, 620[]
  12. BFH, Urteil vom 20.12.2005 – V R 14/04, BFHE 212, 187, unter II. 5. b[]
  13. BFH, Urteil vom 09.10.2002 – V R 73/01, BFHE 200, 130, BStBl II 2003, 217[]