Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist [1].

Zwar trifft auch einen Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO eine Rechtspflicht zur Aufklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen. Hierzu muss jedoch eine den Voraussetzungen des § 35 AO entsprechende Stellung festgestellt werden.
Nach § 35 AO hat derjenige, der als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Zu den von einem Verfügungsberechtigten zu erfüllenden Pflichten gehören insbesondere diejenigen zur Abgabe von Steuererklärungen und zur Entrichtung der Steuern aus vorhandenen Mitteln.
Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt [2]. Nicht ausreichend ist eine rein tatsächliche Verfügungsmacht, etwa die Möglichkeit, über wirtschaftlichen Druck auf die Verfügungen des Steuerpflichtigen Einfluss zu nehmen; vielmehr muss die Verfügungsmöglichkeit rechtlich eingeräumt worden sein, sodass der Verfügungsberechtigte aufgrund bürgerlichrechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam handeln kann. Entscheidend für die Pflichtenstellung des § 35 AO ist, dass der Verfügungsberechtigte durch die Übertragung der rechtlichen Verfügungsbefugnis in die Lage versetzt worden ist, am Rechtsverkehr wirksam teilzunehmen [3].
Eine mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis genügt. Verfügungsberechtigt im Sinne des § 35 AO ist daher auch, wer aufgrund seiner Stellung die Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfüllen oder durch die Bestellung entsprechender Organe erfüllen lassen kann. Gleiches gilt für denjenigen, der kraft eines Rechtsverhältnisses den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann. Steuerliche Pflichten sind dabei auch dann rechtlich und tatsächlich erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht [4]. Auch wenn ein Geschäftsherr einem Dritten für einen bestimmten Geschäftsbereich völlig freie Hand lässt, so kann dieser nach den Umständen des Einzelfalls für den Geschäftsbereich, den er übernommen hat, als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO anzusehen sein [5].
Allerdings kann Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO nur derjenige sein, der auch als solcher nach außen auftritt. Auftreten bedeutet die Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht. Nicht vorausgesetzt ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten. Die Teilnahme muss auch nicht in einer Disposition über fremdes Vermögen bestehen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Verfügungsberechtigte sich nach außen so geriert, als könne er über fremdes Vermögen verfügen. Nimmt etwa eine Person Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, so reicht es aus, wenn sie lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass sie als solche über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt. Hält sich der faktisch Leitende selbst im Hintergrund und bedient er sich zur Ausübung seiner Verfügungsbefugnis der Unterstützung weisungsgebundener Personen, wird er nach § 35 AO nur verpflichtet, wenn die Weisungsabhängigkeit auch nach außen – mithin mindestens gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ – erkennbar wird. Diese Grundsätze gelten für Einzelunternehmen entsprechend [6].
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte die Angeklagten zwar die einzelnen Geschäfte und die Preisgestaltung vorgegeben und hatten der Geschäftsführer der SH. GmbH sowie der Inhaber der Einzelfirma W. als Strohmänner lediglich die ihnen gegebenen Vorgaben ausgeführt. Diese Stellung der Angeklagten allein genügt jedoch für die Annahme einer Verfügungsbefugnis im Sinne des § 35 AO nicht. Vielmehr belegen die getroffenen Feststellungen nicht das erforderliche Auftreten als Verfügungsbefugte dieser Unternehmen nach außen, auch nicht gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“. Festgestellt ist lediglich, dass die Angeklagten die Abwicklung der einzelnen Geschäfte und die Preisgestaltung aufgrund ihrer starken Stellung vorgaben. Um ihre Verbindung zu den zwischengeschalteten Firmen nicht aufzudecken, vermieden sie sogar bewusst ein Auftreten für diese Unternehmen nach außen. Nach den Urteilsfeststellungen traten sie nicht einmal mit den Strohleuten persönlich in Kontakt, sondern überließen dies dem Zeugen R. . Sie selbst blieben im Hintergrund und traten auch gegenüber der Leistungsempfängerin, der T. GmbH, nicht als Vertreter der zwischengeschalteten Firmen auf. Vor Ort ließen sie den Geschäftsführer bzw. Inhaber des jeweils leistenden Unternehmens auftreten und den Verkaufserlös entgegennehmen. Sie hielten sich zwar in der Nähe auf, ließen sich aber die erhaltenen Geldbeträge erst indirekt unter Einschaltung des Zeugen R. übergeben. Mithin belegen die Urteilsfeststellungen nicht nur kein Auftreten der Angeklagten als Verfügungsbefugte für die SH. GmbH und das Einzelunternehmen W. nach außen, sondern zeigen im Gegenteil, dass die Angeklagten ihre Verbindung zu diesen Unternehmen sogar bewusst verheimlichten. Der Umstand allein, dass die Angeklagten niederländische Speditionen im Namen der zwischengeschalteten Unternehmen mit dem Transport des Kupfers beauftragten, genügt für ein Auftreten als Verfügungsbefugter dieser Firmen gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ nicht.
Unbeachtlich ist insoweit, ob der Zeuge R. , der für die SH. GmbH und das Einzelunternehmen W. auch nach außen auftrat, die Stellung eines Verfügungsbefugten im Sinne des § 35 AO innehatte. Zwar spricht für das Vorliegen einer solchen Stellung, dass R. im Namen dieser Firmen mit dem Chefeinkäufer der T. GmbH, dem Zeugen G. , die Preisverhandlungen führte. Gleichwohl genügt dies nicht, auch für die Angeklagten die Voraussetzungen des § 35 AO zu bejahen. Vielmehr sind diese für jeden Beteiligten gesondert festzustellen. Eine Zurechnung des Auftretens anderer nach außen nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Mittäterschaft findet hinsichtlich der Voraussetzungen des § 35 AO nicht statt. Insbesondere rechtfertigt allein der Umstand, dass ein gemeinsamer Tatplan bestand und die Angeklagten zusammen mit dem Zeugen R. entschieden, zu welchen Preisen die Kupferbestände an- und verkauft werden, eine solche Zurechnung nicht. Auch das Merkmal pflichtwidrig in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bezieht sich allein auf das Verhalten des Täters, nicht auf das eines anderen Tatbeteiligten. Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen – hier etwa des Zeugen R. – im Rahmen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde.
Sollten sich keine weitergehenden Anhaltspunkte für ein Auftreten der Angeklagten nach außen als Verfügungsbefugte der SH. GmbH bzw. der Einzelfirma W. ergeben, wird das Landgericht auch eine mögliche Strafbarkeit der Angeklagten wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in den Blick nehmen können.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. August 2017 – 1 StR 33/17
- BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 05.08.2010 – – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 236 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 238 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 236 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 237 f.; BFH, Urteil vom 05.08.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; jeweils mwN[↩]