Feststellungen der Finanzgerichte zum ausländischen Recht

Auch wenn die bei Prüfung der Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts getroffenen Feststellungen des FG revisionsrechtlich wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln sind, ist das Revisionsgericht an diese Feststellungen nicht gebunden, soweit sie auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen.

Feststellungen der Finanzgerichte zum ausländischen Recht

Das Finanzgericht ist als Tatsacheninstanz gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erforschen. Die Beteiligten haben bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO). Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, trifft den Steuerpflichtigen nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Aufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht. Diese erweiterte Mitwirkungspflicht umfasst auch den (außerdeutschen) Bereich der Europäischen Union[1]. Zu beachten bleibt jedoch, dass auch die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO auf Tatsachen be-schränkt bleibt.

Sollte sich danach im finanzgerichtlichen Verfahren keine –ggf. Bindungswirkung besitzende– negative Entscheidung bzw. Bescheinigung einer ausländischen Behörde über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf ausländische Familienleistungen beibringen lassen (z.B. wegen fehlender Antragstellung im Ausland), darf das Finanzgericht nicht bereits deshalb zu Lasten des Klägers unterstellen, es habe ein Anspruch nach ausländischem Recht bestanden. Insbesondere kann von dem Kläger selbst unter Beachtung seiner erweiterten Mitwirkungspflichten nicht erwartet werden, aus Gründen der Beweisvorsorge stets im Ausland einen Antrag auf Familienleistungen zu stellen. Eine solche Betrachtung liefe dem Wortlaut des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zuwider, der –gerade unabhängig von einer Antragstellung– auf das bloße Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs abstellt. Abgesehen davon lässt sich eine solche Verschärfung der Nachweispflicht auch nicht dem § 90 Abs. 2 AO entnehmen.

Mit der Revision kann zwar nicht geltend gemacht werden, die Vorentscheidung beruhe auf der fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts; das ausländische Recht gehört nicht zum Bundesrecht i.S. des § 118 Abs. 1 FGO. Vielmehr sind die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln[2]. Allerdings entfällt die Bindungswirkung, soweit die erstinstanzlichen Feststellungen auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen[3]. In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor[4]. Im Übrigen ist aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge –in gewissen Grenzen– die Frage nachprüfbar, ob das Finanzgericht bei der Ermittlung des ausländischen Rechts gegen seine prozessrechtliche Ermittlungspflicht (§ 155 FGO i.V.m. § 293 ZPO) verstoßen hat[5].

Im Streitfall beschränken sich die Feststellungen des Finanzgericht zum maßgeblichen polnischen Recht allein darauf, dass nach dem polnischen Gesetz über Familienleistungen vom 28.11.2003 Kindergeld u.a. beantragt werden könne, wenn das Pro-Kopf-Einkommen als Nettoeinkommen der Familie im Monat 504 Zloty (PLN) nicht übersteige. In tatsächlicher Hinsicht nimmt das Finanzgericht auf den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 13.03.2009 Bezug und führt aus, dass die sich aus dem polnischen Gesetz ergebende Grenze mit Blick auf das zu versteuernde Einkommen in Höhe von 13.078 EUR überschritten sei.

Einzelheiten zu Inhalt und Auslegung dieses Gesetzes hat das Finanzgericht nicht festgestellt. So fehlen z.B. schon die erforderlichen Feststellungen dazu, was nach polnischem Recht als „Nettoeinkommen“ anzusetzen ist. Das Finanzgericht hat auch nicht festgestellt, welcher Zeitraum maßgeblich dafür ist, um beurteilen zu können, ob die im polnischen Gesetz genannte Einkommensgrenze überschritten ist. Die Feststellungen des Finanzgericht, die lediglich einen kursorischen Überblick über das polnische Gesetz geben, können daher einer Entscheidung des Streitfalls nicht zugrunde gelegt werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Klägers, wonach unbeachtlich sei, dass das Finanzgericht ggf. unzutreffend auf das Einkommen des Jahres 2007 statt auf das des Jahres 2006 abgestellt habe, weil der Kläger im Jahr 2006 ein noch höheres Einkommen als im Jahr 2007 erzielt habe. Die Vorentscheidung enthält weder aussagekräftige Feststellungen zum ausländischen Recht noch die erforderlichen Feststellungen zur Höhe des „Netto-Familieneinkommens“ des Jahres 2006. Diese Feststellungen sind nachzuholen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 13. Juni 2013 – III R 10/11

  1. BFH, Beschluss vom 15.12.2005 – IX B 131/05, BFH/NV 2006, 904; Thürmer in HHSp, § 76 FGO Rz 120[]
  2. z.B. BFH, Urteil in BFH/NV 2002, 1294; Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 65 f.; Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 118 Rz 38[]
  3. s. dazu BFH, Urteil vom 04.08.2011 – III R 36/08, BFH/NV 2012, 184, unter II.4.b aa, m.w.N.[]
  4. Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 118 Rz 38.2[]
  5. s. dazu BFH, Urteil in BFH/NV 2008, 930[]