Ermittlung der ortsüblichen Marktmiete – und der Vorrang des örtlichen Mietspiegels

Die ortsübliche Marktmiete ist grundsätzlich auf der Basis des Mietspiegels zu bestimmen.

Ermittlung der ortsüblichen Marktmiete – und der Vorrang des örtlichen Mietspiegels

Kann ein Mietspiegel nicht zugrunde gelegt werden oder ist er nicht vorhanden, kann die ortsübliche Marktmiete z.B. mit Hilfe eines mit Gründen versehenen Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 3 BGB, durch die Auskunft aus einer Mietdatenbank i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 558e BGB oder unter Zugrundelegung der Entgelte für zumindest drei vergleichbare Wohnungen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 4 BGB ermittelt werden; jeder dieser Ermittlungswege ist grundsätzlich gleichrangig.

In dem hier entschiedenen Fall hat das Thüringer Finanzgeicht die ortsübliche Miete nicht vorrangig mit Hilfe des Mietspiegels ermittelt, sondern mit Hilfe einer Vergleichsmiete für eine an einen Fremdmieter im selben Haus vermietete Wohnung. Es ging davon aus, vorrangiger Maßstab für die Ortsüblichkeit könne eine vergleichbare, im selben Haus liegende, fremdvermietete Wohnung sein. Dies hielt einer Prüfung durch den Bundesfinanzhof nicht stand; der Bundesfinanzhof sah hierin § 21 Abs. 2 EStG verletzt, hob das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Thüringer Finanzgericht:

Macht der Steuerpflichtige Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) aus der verbilligten -d.h. nicht marktgerechten- Vermietung von Wohnraum geltend, kann sich mit Blick auf § 21 Abs. 2 EStG eine anteilige Kürzung seiner Werbungskosten ergeben. Beträgt das Entgelt für die Überlassung einer Wohnung zu Wohnzwecken weniger als 66 Prozent der ortsüblichen Marktmiete, so ist die Nutzungsüberlassung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 EStG). Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66 Prozent der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung als entgeltlich (§ 21 Abs. 2 Satz 2 EStG). Die Typisierung entspricht dem aus der Entstehungsgeschichte zu entnehmenden Gesetzeszweck. Die im Interesse der Steuervereinfachung eingefügte Regelung sollte eine Prüfung erübrigen, aus welchen Gründen die ortsübliche Marktmiete im Einzelfall unterschritten wird[1]. Entgelt ist die vereinbarte Miete[2].

Maßstab für die Berechnung der Entgeltlichkeitsquote im Rahmen des § 21 Abs. 2 EStG ist die ortsübliche Marktmiete. Darunter ist die ortsübliche Kaltmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung unter Einbeziehung der Spannen des örtlichen Mietspiegels zuzüglich der nach der Betriebskostenverordnung (BetrKV) vom 25.11.2003[3] umlagefähigen Kosten zu verstehen[4].

Die maßgebliche ortsübliche Marktmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung ist vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz zu ermitteln. Sie ergibt sich grundsätzlich aus dem örtlichen Mietspiegel[5], der gemäß des Gesetzeswortlauts im Sinne einer „Marktmiete“ ein breites Spektrum von Wohnungen aus der Gemeinde berücksichtigt. Hierzu gehören sowohl der einfache Mietspiegel nach § 558c des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als auch der qualifizierte Mietspiegel nach § 558d BGB. Dabei ist denkgesetzlich jeder der Mietwerte -nicht nur der Mittelwert- als ortsüblich anzusehen, den der Mietspiegel im Rahmen einer Spanne zwischen mehreren Mietwerten für vergleichbare Wohnungen ausweist[6]. Erst die Über- oder Unterschreitung der jeweiligen Grenzwerte führt zur Unüblichkeit. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, der als „üblich“ dasjenige zu bezeichnen pflegt, das sich „im Rahmen des Üblichen“, also innerhalb einer gewissen Spanne bewegt[7].

Die Ableitung der ortsüblichen Marktmiete aus dem örtlichen Mietspiegel entspricht zudem dessen Zweck. Er gehört zu den Informationsquellen, die eine leichte und schnelle Ermittlung der ortsüblichen Miete auf der Grundlage eines breiten Spektrums ermöglichen. Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn bei einer Miete innerhalb der vom Mietspiegel vorgesehenen Spanne gleichwohl im Einzelfall ermittelt werden müsste, ob nicht ein anderer Wert innerhalb der Spanne der angemessenere wäre. Ein Mietspiegel trägt mit dem Ansatz einer Mietpreisspanne der Tatsache Rechnung, dass für in jeder Hinsicht vergleichbare Wohnungen örtlich eine gewisse Bandbreite von zu zahlenden Mieten typisch ist. Deshalb lässt die sachgerechte Erfassung einer solchen Schwankungsbreite im Mietspiegel die Feststellung zu, dass jeder Mietzins innerhalb der berücksichtigten Spanne die ortsübliche Marktmiete i.S. des § 21 Abs. 2 EStG darstellt. Insoweit gilt für die ortsübliche Marktmiete (gleichermaßen wie für die zivilrechtlich bedeutsame „ortsübliche Vergleichsmiete“ i.S. des § 558 BGB), dass sie keine punktgenaue Einzelmiete ist, sondern selbst bei unterschiedlichen Miethöhen innerhalb einer gewissen örtlich bedingten Bandbreite liegen kann[8].

Der örtliche Mietspiegel kann allerdings ausnahmsweise nicht zugrunde gelegt werden, wenn er nicht regelmäßig an die Marktentwicklung angepasst wird oder an substanziellen Defiziten in der Datenerhebung leidet oder aus sonstigen substantiierten Gründen einen mangelhaften Erkenntniswert hat und daher im Einzelfall kein realitäts- und sachgerechtes Bild über die ortsübliche Marktmiete vergleichbarer Wohnungen wiedergibt. Entsprechendes gilt bei Sonderobjekten, die nicht dem im Mietspiegel definierten Anwendungsbereich unterfallen. Gibt ein Mietspiegel nur Richtwerte für das Mietniveau von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern an, weist das zu beurteilende vermietete Einfamilienhaus aber im Hinblick auf Größe und Ausstattung im Vergleich zu einer Mietwohnung keine Besonderheiten auf, so kann der Vergleichswert des Mietspiegels gleichwohl einen Anhaltspunkt für den Mietwert eines vergleichbaren Einfamilienhauses geben, der durch einen Zuschlag für die gesteigerte Wohnqualität beim Bewohnen eines Einfamilienhauses anzupassen ist[9].

Kann ein örtlicher Mietspiegel nicht zugrunde gelegt werden oder ist er nicht vorhanden, kann die Tatsacheninstanz z.B. auf ein mit Gründen versehenes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 3 BGB, die Auskunft aus einer Mietdatenbank i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 558e BGB oder die Entgelte für einzelne vergleichbare Wohnungen i.S. des § 558a Abs. 2 Nr. 4 BGB zurückgreifen. Bei letzterer Alternative müssen zumindest drei Wohnungen nach Adresse, Lage und Stockwerk benannt werden[10]. Jeder der genannten Ermittlungswege ist grundsätzlich gleichrangig.

Die ortsübliche Marktmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung sowie gegebenenfalls der marktübliche Gebrauchswert der überlassenen Möblierung sind vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz festzustellen[11]. Es hat für den jeweiligen Einzelfall die ermittelte ortsübliche Marktmiete substantiiert zu begründen. Die Feststellung ist als Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das Finanzgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat.

Das Thüringer Finanzgericht ist erstinstanzlich  von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, das Urteil kann daher keinen Bestand haben.

Das Finanzgericht hat die ortsübliche Marktmiete nicht mit Hilfe des vorhandenen Mietspiegels ermittelt. Es hat den qualifizierten Mietspiegel der Stadt A rechtsfehlerhaft außer Betracht gelassen und stattdessen die ortsübliche Marktmiete nur unter Heranziehung der Miete für eine an einen Fremdmieter im selben Haus vermietete Wohnung gleicher Art, Größe und Ausstattung ermittelt. Das Finanzgericht hat die ortsübliche Marktmiete daher nicht unter Berücksichtigung eines breiten Spektrums von Vergleichswohnungen aus der Gemeinde ermittelt[12].

Soweit der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 19.09.2008[13] für die Sachverhaltsaufklärung eine vergleichbare, im gleichen Haus liegende, fremdvermietete Wohnung als Maßstab für die Ortsüblichkeit als ausreichend angesehen hat, hält er daran nicht fest. Abgesehen davon hatte diese Entscheidung nicht die Ermittlung der ortsüblichen Marktmiete anhand eines Mietspiegels zum Gegenstand und beinhaltet deshalb keine Aussagen zum Verhältnis von Mietspiegel zu vergleichbaren, im gleichen Haus liegenden, fremdvermieteten Wohnungen. Rechtsfehlerhaft nimmt das Thüringer Finanzgericht zudem auf das Urteil des BFH vom 10.10.2018[14] Bezug, obwohl es in jener Konstellation nicht -wie im Streitfall- um die entgeltliche Überlassung einer Wohnung zu Wohnzwecken, sondern um die Verpachtung von Gewerbeflächen ging, auf die § 21 Abs. 2 EStG nicht anzuwenden ist[15].

Das Urteil des Finanzgericht war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das Finanzgericht hat die ortsübliche Marktmiete auf der Grundlage des vorhandenen Mietspiegels unter Anwendung der oben aufgezeigten Maßstäbe festzustellen. Dazu hat es die ortsübliche Kaltmiete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung unter Einbeziehung der Spannen des örtlichen Mietspiegels zuzüglich der nach der BetrKV umlagefähigen Kosten festzustellen. Die von der Mieterin getragenen Kosten für die Wärme sind nach § 2 Nr. 4 BetrKV umlagefähig und daher zu berücksichtigen (sog. abgekürzter Zahlungsweg). Auf dieser Grundlage hat das Finanzgericht die Entgeltlichkeitsquote und damit die Höhe des Werbungskostenabzugs im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr neu zu ermitteln.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Februar 2021 – IX R 7/20

  1. vgl. BT-Drs. 10/3633, S. 16, 20, 23[]
  2. BFH, Urteil vom 28.01.1997 – IX R 88/94, BFHE 182, 546, BStBl II 1997, 605, unter 1.a, Rz 15[]
  3. BGBl I 2003, 2346, geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen vom 03.05.2012 [BGBl I 2012, 958][]
  4. ständige Rechtsprechung, s. BFH, Urteile vom 10.05.2016 – IX R 44/15, BFHE 254, 31, BStBl II 2016, 835, Rz 11; und vom 06.02.2018 – IX R 14/17, BFHE 261, 20, BStBl II 2018, 522, Rz 15[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 17.08.2005 – IX R 10/05, BFHE 211, 151, BStBl II 2006, 71, unter II. 1.b, Rz 15, für § 8 Abs. 2 EStG; in BFHE 261, 20, BStBl II 2018, 522, Rz 18; vom 17.02.1999 – II R 48/97, BFH/NV 1999, 1452, Rz 16, für § 22 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes; BFH, Beschlüsse vom 11.09.2007 – IX B 4/07, BFH/NV 2007, 2291, Leitsatz (NV); vom 27.12.2010 – IX B 107/10 Rz 7; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.11.2017 – 7 K 7252/15 Rz 35, rechtskräftig[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 211, 151, BStBl II 2006, 71, Rz 18; BFH, Beschluss in BFH/NV 2007, 2291, Rz 4[]
  7. vgl. BFH, Urteil vom 05.12.2019 – II R 41/16, BFHE 267, 275, BStBl II 2020, 741, Rz 15[]
  8. vgl. BFH, Urteil in BFHE 211, 151, BStBl II 2006, 71, unter II. 2.b, Rz 22[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2008 – VIII ZR 58/08, NJW-RR; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.02.2016 – 5 K 4220/12, EFG 2016, 1858, m.w.N.: Zuschlag von 10 % auf den Mittelwert des einschlägigen Mietspiegelfeldes; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.11.2017 – 7 K 7252/15 Rz 35, rechtskräftig[]
  10. vgl. BGH-Rechtsentscheid vom 20.09.1982 – VIII ARZ 1/82, BGHZ 84, 392; Heilmann in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 558a BGB Rz 29[]
  11. vgl. BFH, Urteile in BFHE 211, 151, BStBl II 2006, 71, unter II. 1.b, Rz 15, betreffend eine unmöblierte Wohnung; in BFHE 261, 20, BStBl II 2018, 522, Rz 17, für möblierte oder teilmöblierte Wohnungen[]
  12. a.A. zur Berücksichtigung von Vergleichswohnungen im selben Objekt: FG Köln in EFG 2021, 35, rechtskräftig, mit Anm. Lutter, EFG 2021, 39, 40[]
  13. BFH, Beschluss vom 19.09.2008 – IX B 102/08, BFH/NV 2009, 246[]
  14. BFH, Urteil vom 10.10.2018 – IX R 30/17, BFHE 263, 6, BStBl II 2019, 200[]
  15. so bereits ausdrücklich BFH, Urteil in BFHE 263, 6, BStBl II 2019, 200, Rz 15 am Ende[]