Die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert entgeltlich erworben wurde, stellt keine „Veräußerung“ i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar.

Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch solche aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Diese umfassen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei „anderen Wirtschaftsgütern“, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.
Mit den Bestimmungen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst das Einkommensteuergesetz ‑abweichend von dem sonst im Einkommensteuerrecht bestehenden Grundsatz, wonach Einkünfte aus der Veräußerung privater, nicht zu einem Betriebsvermögen gehörender Wirtschaftsgüter nicht steuerbar sind- innerhalb der Veräußerungsfrist von einem Jahr realisierte Wertänderungen von beweglichen Wirtschaftsgütern jedweder Art im Privatvermögen [1].
Die in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwendeten Begriffe „Anschaffung“ und „Veräußerung“ erschließen sich aus den Regelungen des § 6 EStG, des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) und der §§ 135, 136 BGB. Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 EStG ist danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten ‑d.h. auf eine andere Person- zu verstehen [2]. Eine „Veräußerung“ i.S. der genannten Vorschrift setzt daher nicht nur die Entgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs voraus, sondern auch, dass sich aufgrund der zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarungen ein Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut vollzieht [3].
Die bloße Erfüllung eines schuldrechtlichen Anspruchs stellt keinen entgeltlichen, mit einem Rechtsträger verbundenen Übertragungsvorgang dar.
Der Gläubiger erhält im Fall der Erfüllung nicht mehr, als seinem Leistungsanspruch entspricht [4]. Damit realisiert der Gläubiger insbesondere auch keine Wertänderung hinsichtlich des maßgeblichen (nämlichen) Wirtschaftsguts ‑im Streitfall einer Geldforderung- zumal er weiterhin die Preisgefahr trägt [5]. Der Normzweck des § 23 EStG, innerhalb der Haltefrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen [6], ist in solchen Fällen mithin nicht erfüllt. Zudem fehlt es im Fall der Erfüllung einer schuldrechtlichen Forderung an einem Rechtsträgerwechsel, da der Gläubiger bei Tilgung lediglich etwas erhält, was er zivilrechtlich bereits im Zeitpunkt der Abtretung der Forderung erworben hatte [5].
Unbeschadet dieses (zivil-)rechtlichen Befunds hat die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung ‑und ihr folgend die finanzgerichtliche Rechtsprechung- in der Einziehung einer [7] entgeltlich erworbenen Forderung innerhalb der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. bzw. nach § 42 Abs. 1 EStG 1925 maßgeblichen Veräußerungsfrist ein „Spekulationsgeschäft“ gesehen, da die Verwertung einer Kapitalforderung durch Einziehung einer Veräußerung gleichstehe [8]. Die frühe höchstrichterliche Rechtsprechung hat diese, über den engen bürgerlich-rechtlichen Begriff der Veräußerung hinausgehende Auslegung u.a. damit gerechtfertigt, dass innerhalb der Norm des § 23 EStG auch im Übrigen ‑so etwa bei der Bestimmung des Beginns und des Endes der Veräußerungsfrist, welche nicht beim dinglichen Geschäft der Eigentumsübertragung oder Forderungsabtretung, sondern beim obligatorischen Geschäft ansetze- ein normspezifisches Verständnis des Veräußerungstatbestandes vorherrsche [9]. Das Finanzgericht ist in seiner angefochtenen Vorentscheidung dieser Rechtsprechung gefolgt.
Im Schrifttum ist diese Rechtsprechung auf Zustimmung [10], aber auch auf Kritik gestoßen [11].
Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Frage, ob die Einziehung angeschaffter Forderungen innerhalb der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. bzw. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG eine „Veräußerung“ darstellt, bislang offengelassen [12], im Übrigen aber den Veräußerungsbegriff des § 23 EStG weiter konkretisiert und dabei insbesondere die Rückgabe und Einlösung von Wertpapieren nicht als Veräußerungstatbestände gewertet [13].
Aus den genannten Entscheidungen wurde im Schrifttum eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung gesehen und hieraus gefolgert, dass ein bloßer Kapitalrückfluss ‑sei es als Einziehung einer Forderung oder als Vereinnahmung eines Auseinandersetzungsguthabens- keine Veräußerung und auch kein veräußerungsähnliches Geschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG darstellen könne [14]. Dieser Auffassung ist die finanzgerichtliche Rechtsprechung teilweise gefolgt [15].
Der Bundesfinanzhof folgt der Auffassung, dass die Einziehung einer Forderung, die von einem Dritten unter Nennwert entgeltlich erworben wurde, keine „Veräußerung“ i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG darstellt, da sie weder einen entgeltlichen Vorgang beinhaltet noch zu einem Rechtsträgerwechsel führt. Soweit der BFH in früheren Entscheidungen eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält der Bundesfinanzhof hieran nicht länger fest.
Das bislang in der Rechtsprechung für eine steuerrechtliche Gleichbehandlung der Einziehung und der Veräußerung von Forderungen bemühte Argument einer „wirtschaftlichen Vergleichbarkeit“ der beiden Vorgänge [16] vermag nicht zu überzeugen. Zwar wird in beiden Fällen der Forderungsinhaber den in der Forderung verkörperten Wert realisieren können, jedoch kann dieser Umstand nicht den Schluss rechtfertigen, dass in beiden Fällen auch der in der maßgeblichen Vorschrift geregelte Steuertatbestand, welcher ein „Veräußerungsgeschäft“ voraussetzt, erfüllt ist. Denn anders als im Fall der Weiterveräußerung einer zuvor angeschafften Forderung vollzieht sich die Einziehung derselben durch eine freiwillige Leistung des Schuldners, der hierdurch die Forderung zum Erlöschen bringt (§ 362 Abs. 1 BGB); die Leistung des Schuldners ist folglich nicht auf eine Übertragung der Forderung (und mithin auch nicht auf einen Rechtsträgerwechsel) gerichtet. Überdies setzt die Einziehung keine Mitwirkung des Forderungsinhabers voraus; vielmehr kann ‑wie der Kläger in seiner Revisionsbegründung zutreffend vorträgt- der Schuldner die gegen ihn gerichtete Forderung ggf. auch gegen den Willen des Forderungsinhabers zum Erlöschen bringen (§§ 372 Satz 1, 378 BGB; in diesem Sinne auch Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 202 „Forderungen“; Blümich/Ratschow, § 23 EStG Rz 125).
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. September 2019 – IX R 12/18
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.07.2002 -IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74, unter B.III. 1., Rz 47, m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 23.07.2019 – IX R 28/18, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de; vom 06.02.2018 – – IX R 33/17, BFHE 260, 485, BStBl II 2018, 525; vom 08.11.2017 – IX R 25/15, BFHE 260, 202, BStBl II 2018, 518; vom 08.04.2003 – – IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171[↩]
- s. etwa BFH, Urteil vom 23.08.2011 – – IX R 66/10, BFHE 234, 335, BStBl II 2013, 1002[↩]
- Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 202 „Forderungen“[↩]
- Blümich/Ratschow, § 23 EStG Rz 125[↩][↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 01.10.2014 – – IX R 55/13, BFHE 247, 397, BStBl II 2015, 265, und in BFHE 260, 485, BStBl II 2018, 525, jeweils m.w.N.[↩]
- unter dem Nennwert[↩]
- so schon Urteil des Reichsfinanzhofs vom 14.03.1934 – VI A 1125/33, RStBl 1934, 711, zu § 42 Abs. 1 EStG 1925, betreffend die Einziehung einer Hypothekenforderung; s. ferner BFH, Urteile vom 17.07.1959 – – VI 67/58 U, BFHE 69, 222, BStBl III 1959, 346; in BFHE 74, 331, BStBl III 1962, 127; und vom 01.12.1967 – – VI R 202/66, BFHE 91, 90, BStBl II 1968, 267, jeweils zur Einziehung von angeschafften Sperrmarkguthaben; s. auch Finanzgericht Hamburg vom 10.08.1984 – VII 14/84, EFG 1985, 125, und Finanzgericht München vom 18.07.1996 – 10 K 843/92, EFG 1997, 343, jeweils zur Einziehung von Fremdwährungsforderungen; vgl. auch Niedersächsisches Finanzgericht vom 29.04.2009 – 9 K 242/06, EFG 2009, 1379, zur Abgrenzung der Einziehung von Forderungen und Zinsen[↩]
- s. etwa BFH, Urteil in BFHE 74, 331, BStBl III 1962, 127[↩]
- s. etwa Kube in Kirchhof, EStG, 18. Aufl., § 23 Rz 14; Schlotter in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 20 Rz 1360[↩]
- Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 202 „Forderungen“; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach ‑HHR‑, § 23 EStG Rz 142; Blümich/Ratschow, § 23 EStG Rz 125; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 38. Aufl., § 23 Rz 54; KKB/Bäuml, § 23 EStG, 4. Aufl., Rz 255; vgl. auch HHR/Buge, § 20 EStG Rz 422[↩]
- BFH, Urteile vom 30.11.2010 – – VIII R 58/07, BFHE 232, 337, BStBl II 2011, 491, zur Aufnahme und Tilgung von Fremdwährungsdarlehen; vom 02.05.2000 – – IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614, zur Anschaffung und Veräußerung von Festgeldern und Darlehensforderungen; vom 18.10.2006 – – IX R 7/04, BFHE 215, 193, BStBl II 2007, 258, zur Vereinnahmung eines Auseinandersetzungsguthabens nach § 235 HGB[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 252, 341, BStBl II 2016, 351, und in BFHE 260, 485, BStBl II 2018, 525[↩]
- Nöcker, jurisPR-SteuerR 7/2007 Anm. 4; Heuermann, Die steuerliche Betriebsprüfung 2007, 61; ders., Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 122 f.[↩]
- FG Hamburg vom 20.01.2004 – III 362/01, EFG 2004, 805, bestätigt durch BFH, Urteil in BFHE 215, 193, BStBl II 2007, 258; Hessisches Finanzgericht vom 01.10.2014 – 10 K 2040/13, EFG 2015, 128[↩]
- z.B. BFH, Urteil in BFHE 74, 331, BStBl III 1962, 127, Rz 14, a.E.[↩]