Die „Ansässigkeit“ des Steuerpflichtigen

Ist ein Steuerpflichtiger bereits dann ein „im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger“ im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, wenn er den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland hat, oder muss als weitere Voraussetzung hinzukommen, dass er seinen privaten Wohnsitz nicht im Inland hat?

Die „Ansässigkeit“ des Steuerpflichtigen

Diese Frage hat jetzt der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dieser Entscheidung zugrunde lag ein Umsatzsteuerstreit eines in Deutschland wohnhaften österreichischen Transportunternehmers, der seine Dienstleistungen (Überlassung von LKW-Fahrpersonal) teilweise auch für deutsche Unternehmen erbrachte.

Nach § 13b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG schuldet bei sonstigen Leistungen eines „im Ausland ansässigen Unternehmers“ der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Ein „im Ausland ansässiger Unternehmer“ ist nach § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG nur ein solcher Unternehmer, der weder im Inland noch in bestimmten anderen –im Streitfall nicht relevanten– Gebieten einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat. Mit dieser Vorschrift wollte der deutsche Gesetzgeber Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG in nationales Recht umsetzen[1].

Insoweit bestehen für den Bundesfinanzhof jedoch Zweifel an der Übereinstimmung des deutschen Gesetzes mit dem Gemeinschaftsrecht, als nach dem deutschen Gesetz für die Verlagerung der Steuerschuld das Merkmal des „im Ausland ansässigen Unternehmers“ (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) nicht erfüllt ist, wenn der Unternehmer zwar den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland, aber einen privaten Wohnsitz im Inland hat (§ 13b Abs. 4 UStG).

Dagegen schuldet nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b 1. Alternative der Richtlinie 77/388/EWG die Mehrwertsteuer der steuerpflichtige Empfänger einer in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG genannten Dienstleistung (bereits dann), wenn „die Dienstleistung von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird“.

Der Begriff des „im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen“ wird in Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG nicht definiert. Da sich die Ansässigkeit auf einen im Ausland gelegenen Ort bezieht, und Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ausdrücklich auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG Bezug nimmt, hält der Bundesfinanzhof es für naheliegend, wenn auch nicht für zwingend, bei der Auslegung des Merkmals des „im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen“ die Regelung in Art. 9 der Richtlinie 77/388/EWG heranzuziehen. Im Schrifttum wird hingegen die Auffassung vertreten, dass die in Art. 9 der Richtlinie 77/388/EWG enthaltene Ortsbestimmung bei der Auslegung von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG aus systematischen Gründen keine Bedeutung hat[2].

Nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG ist der Ort der Ansässigkeit des Leistungsempfängers der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort. Danach kommt es auf den Wohnort des Leistungsempfängers nur dann an, wenn er über keinen Unternehmenssitz verfügt[3].

Soweit Art. 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern –Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige– das Merkmal des „nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen“ definiert, kann dahingestellt bleiben, ob dem Bedeutung für die Auslegung des Begriffs des im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG beigemessen werden kann[4]. Denn auch diese Bestimmung enthält eine mit Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG vergleichbare Regelung, wonach auf den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung oder nur „in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung“ auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort abzustellen ist. Das Gleiche gilt für die Definition des „nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässigen Steuerpflichtigen“ in Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige.

Die Annahme, dass die Dienstleistung bereits dann von „einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht“ wird, wenn der Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland liegt, unabhängig davon, wo sich der private Wohnsitz befindet, dient auch einer einfachen Rechtsanwendung. Dem Leistungsempfänger, der zu Recht davon ausgeht, dass der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland hat, werden Nachforschungen über dessen privaten Wohnsitz erspart.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. Juni 2010 – XI R 5/08

  1. vgl. zu Art. 14 der Gesetzesbegründung vom 7. September 2001 zum Steueränderungsgesetz 2001 BT-Drs. 14/6877, Seite 34 f.[]
  2. vgl. Haberland, UR 2008, 575 ff.[]
  3. so auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 13b Rz 28[]
  4. dies verneinend Haberland, UR 2008, 575 ff.; Mößlang in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 13b Rz 15[]