Der Vorsteuerabzug und die widersprochene Gutschrift

Widerspricht der Empfänger einer Gutschrift dem ihm übermittelten Abrechnungsdokument, verliert die Gutschrift die Wirkung einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung auch dann, wenn die Gutschrift den zivilrechtlichen Vereinbarungen entspricht und die Umsatzsteuer zutreffend ausweist. Es genügt, dass der Widerspruch eine wirksame Willenserklärung darstellt.

Der Vorsteuerabzug und die widersprochene Gutschrift

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 2009 kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, dann als Vorsteuer abziehen, wenn er eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.

Die Rechnung kann nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG für eine Lieferung oder sonstige Leistung auch von einem Leistungsempfänger, der Unternehmer oder eine nichtunternehmerische juristische Person ist, im sog. Gutschriftverfahren ausgestellt werden, sofern dies vorher vereinbart wurde. Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG verliert die Gutschrift die Wirkung einer Rechnung, sobald der Empfänger der Gutschrift dem ihm übermittelten Dokument widerspricht.

§ 14 Abs. 2 Satz 3 UStG stellt dem Wortlaut nach allein auf die Tatsache des Widerspruchs im Sinne einer wirksamen Willenserklärung ab und nicht darauf, ob die Gutschrift den zivilrechtlichen Vereinbarungen entspricht und ob sie die Umsatzsteuer zutreffend ausweist. Eine Beschränkung des Widerspruchsrechts für solche Fälle bedürfte der gesetzlichen Regelung. Es ist Sache der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmer, sich über die Frage der Richtigkeit der Gutschrift auseinanderzusetzen und ggf. eine neue Abrechnung, sei es durch Gutschrift oder Rechnung, herbeizuführen. Aus einer Gutschrift, die ihre Wirkung als Rechnung verloren hat, kann kein Recht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG begründet werden[1].

An dieser Rechtsprechung hält der Bundesfinanzhof auch hinsichtlich der Neufassung des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG fest, die in der hier maßgeblichen Frage zu keiner Änderung geführt hat. Neu ist insofern im Wesentlichen lediglich, dass es nicht mehr möglich ist, einer Gutschrift nur teilweise zu widersprechen. Im Streitfall hat JI sämtlichen Gutschriften –in vollem Umfang– widersprochen, wie das Finanzgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt hat. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision diesen im Verfahren vor dem Finanzgericht erhobenen Einwand auch nicht mehr weiter.

Die vorstehend dargelegte Auffassung des Bundesfinanzhofs in BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779 wird von der Mehrheit im Schrifttum auch nach der Neufassung des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG geteilt[2].

Der Bundesfinanzhof folgt nicht der in der Literatur geäußerten Auffassung[3], ein Widerspruch gegen eine Gutschrift sei unbeachtlich, wenn dem Gutschriftenaussteller ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit demselben Inhalt zustehe, und dass die Unbeachtlichkeit eines solchen Widerspruchs auch von den Finanzbehörden zu beachten sei.

Soweit Hummel ausführt[4], der „nur auf den ersten Blick eindeutig[e]“ Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG könnte im Hinblick auf mögliche ungeschriebene Beschränkungen des Widerspruchsrechts nicht eindeutig sein, folgt der BFH dem nicht. Dem Hinweis[4], dass die Entstehungsgeschichte dafür spreche, dass die Regelung den Bedürfnissen der Praxis und der Vereinfachung diene, ist –entgegen Hummel– nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber das Widerspruchsrecht beschränken wollte. Im Gegenteil spricht gegen eine derartige Beschränkung, dass der Gesetzgeber auch nach Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779 die zwischenzeitlichen Änderungen des UStG nicht zum Anlass genommen hat, das Widerspruchsrecht einzuschränken.

Es mag zutreffen[5], dass § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG zwar den Schutz des Leistenden davor, nach § 14c UStG eine vom Gutschriftenaussteller zu hohe bzw. unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer zu schulden, gewährleistet, aber nicht geeignet ist, den Leistungsempfänger hinreichend vor einem unberechtigten Widerspruch und dem dadurch bedingten Verlust des Vorsteuerabzugs zu schützen. Es ist auch richtig, dass der Vorsteuerabzug daran geknüpft ist, dass die Vorsteuer gesetzlich geschuldet ist und ein unberechtigter Vorsteuerabzug deshalb unabhängig von der Frage eines Widerspruchs im Falle einer unzutreffenden Gutschrift zu versagen ist und dass die in § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG für den Fall des Widerspruchs gegen eine Gutschrift angeordnete Rechtsfolge deshalb überflüssig ist[6].

Aus diesen Überlegungen ergibt sich aber –entgegen Hummel[7]— nicht, dass § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG im Wege einer teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen sei, dass die Vorschrift nur für den Fall einer unrichtigen Gutschrift gelten sollte und ein Widerspruch gegen eine zutreffende Gutschrift deshalb keine Wirkung habe. Eine solche Einschränkung hätte zur Folge, dass die Finanzverwaltung auch in den Fällen, in denen die widerstreitende umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der an dem Leistungsaustausch Beteiligten letztlich auf zivilrechtlich begründeten Meinungsverschiedenheiten der Vertragsparteien beruhen, zu entscheiden hätte, welche der Meinungen zutreffend ist. Dieses Ergebnis entspräche aber nicht dem Zweck des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG, der (auch) im Interesse des Steuergläubigers eine klare Regelung trifft.

Die vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG würde nach alledem die verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslegung überschreiten.

Die Auffassung des Bundesfinanzhofs steht im Einklang mit den BFH-Urteilen vom 25. Februar 1993[8], vom 11. Oktober 2007[9] und in BFH/NV 2010, 1497.

Nach dem BFH-Urteil in BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777 ist, selbst wenn der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger gegenüber verpflichtet war, den (an sich steuerfreien) Umsatz gemäß § 9 UStG 1980 als steuerpflichtig zu behandeln und sich (zunächst) dementsprechend verhalten hat, der Übergang zur Behandlung des Umsatzes als steuerfrei nicht von der Zustimmung des Leistungsempfängers abhängig, auch wenn die Vertragspartner ihre Leistungspflichten einschließlich der Erteilung einer Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer bereits voll erfüllt haben. In dem BFH-Urteil in BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438 wird ausgeführt, dass die zivilrechtliche Befugnis zur Rechnungsberichtigung umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich nicht zu prüfen ist. Dem hat sich der BFH in seinem Urteil in BFH/NV 2010, 1497 angeschlossen; danach ist der Übergang zur Behandlung des Umsatzes als (wieder) steuerfrei nicht von der Zustimmung des Leistungsempfängers abhängig und die zivilrechtliche Befugnis zur Rechnungsberichtigung umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich nicht zu prüfen.

Soweit die Klägerin geltend macht, der Bundesfinanzhof halte es für möglich, dass ein gegen Treu und Glauben verstoßender Widerruf einer Gutschrift steuerrechtlich unbeachtlich sein könnte[10], rechtfertigt dies im Streitfall keine andere Beurteilung.

Einen Verstoß gegen Treu und Glauben leitet die Klägerin (lediglich) daraus ab, dass der Gutschriftenempfänger die an ihn gezahlte Umsatzsteuer nicht zurückgezahlt habe und dass ihr –der Klägerin– ein Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit demselben Inhalt zustehe. Dies allein kann die Wirksamkeit des im Streitfall erklärten Widerrufs nicht in Frage stellen. Der Bundesfinanzhof hat insoweit –wie dargelegt– in dem Urteil in BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779 bereits ausgeführt, dass ein Widerspruch gegen den Steuerausweis in einer Gutschrift auch dann wirksam ist, „wenn die Gutschrift sowohl den zivilrechtlichen Vereinbarungen entspricht als auch die Umsatzsteuer zutreffend ausweist“. Dass ein derartiger Widerruf grundsätzlich zulässig ist und deshalb mit einem solchen zu rechnen ist, ergibt sich aus § 14 Abs. 2 Satz 3 UStG.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Januar 2013 – XI R 25/11

  1. vgl. BFH, Urteil in BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779[]
  2. vgl. Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl., S. 887; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz 145; Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 161 Rz 175; Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 14 Rz 152; Widmann in Vogel/Schwarz, UStG, § 14 Rz 53; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 14 UStG Rz 53; s.a. Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz, § 11 Rz 106[]
  3. Stadie in Rau/Dürwächter, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz 256, 558; Hummel, UR 2012, 497 ff.[]
  4. Hummel, UR 2012, 497, 499[][]
  5. so Hummel, UR 2012, 497, 498, 500 ff.[]
  6. Hummel, UR 2012, 497, 501[]
  7. Hummel, UR 2012, 497, 501 f.[]
  8. BFH, Urteil vom 25.02.1993 – V R 78/88, BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777[]
  9. BFH, Urteil vom 11.10.2007 – V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438[]
  10. BFH, Urteil in BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779, unter II.B.02. c[]