Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten besteht. Der Nießbrauch des Schenkers erhält einen Rang nach dem Nießbrauch des Dritten. § 6 Abs. 1 BewG gilt nicht für einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind der vorrangige und der nachrangige lebenslange Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal mit dem höheren Vervielfältiger gemäß § 14 BewG zu berücksichtigen.
Bei einer Schenkung gilt als steuerpflichtiger Erwerb grundsätzlich die Bereicherung des Bedachten (§ 1 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Hat sich der Zuwendende ein dingliches Nutzungsrecht[1] am Zuwendungsgegenstand vorbehalten, ist diese vorübergehende Einschränkung der Bereicherung durch Abzug der Last zu berücksichtigen, wenn ein gesetzliches Abzugsverbot nicht entgegensteht[2].
Gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 BewG werden Lasten, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängt, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs nicht berücksichtigt. Erst wenn die Bedingung eintritt, ist eine Schenkungsteuerfestsetzung auf Antrag nach dem tatsächlichen Wert des Erwerbs zu berichtigen (§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 BewG).
§ 6 Abs. 1 BewG untersagt den Abzug von Verpflichtungen, die am Bewertungsstichtag zivilrechtlich (noch) nicht entstanden sind[3]. Die Norm stellt ihrem Wortlaut nach auf die rechtliche „Entstehung“ der Verpflichtungen, nicht auf die Möglichkeit ihrer Geltendmachung oder zwangsweisen Durchsetzung durch den Berechtigten ab.
Mit dem Ausdruck „Bedingung“ knüpft § 6 Abs. 1 BewG an das bürgerliche Recht an[4]. Bedingung ist danach die einem Rechtsgeschäft beigefügte Bestimmung, dass die Wirkungen des Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängen. Gemäß § 158 Abs. 1 BGB tritt die von einer aufschiebenden Bedingung abhängig gemachte Wirkung des Rechtsgeschäfts erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Solange die Bedingung nicht eingetreten ist, liegt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Ungewissen bzw. schwebt[5].
Behält sich ein Schenker den Nießbrauch vor, obwohl der Zuwendungsgegenstand bereits mit dem Nießbrauch eines Dritten belastet ist, hängt die Entstehung des Nießbrauchs des Schenkers nicht vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung i.S. der §§ 158 Abs. 1 BGB, 6 Abs. 1 BewG ab. Der Nießbrauch des Schenkers entsteht vielmehr mit der Schenkung und erhält einen Rang nach dem älteren Nießbrauch. Die Nachrangigkeit hat zur Folge, dass der Nießbrauch des Schenkers zunächst nicht geltend gemacht oder zwangsweise durchgesetzt werden kann. Seine zivilrechtliche Entstehung wird durch die Existenz des älteren Nießbrauchs aber nicht verhindert[6].
Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen bei einer Schenkung mehreren Berechtigten ein Nießbrauch in der Weise eingeräumt wird, dass der Nießbrauch des einen erst mit dem Ableben des anderen entstehen soll (sog. Sukzessivnießbrauch). Bei der Schenkungsteuerfestsetzung ist der für die Zeit nach dem Ableben des zunächst Berechtigten vereinbarte Nießbrauch gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 BewG nicht zu berücksichtigen. Er hat am Stichtag rechtlich nicht bestanden. Seine Entstehung hängt von einem zukünftigen, ungewissen Ereignis, dem Vorversterben des zunächst Berechtigten, ab[7].
Für eine entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 1 BewG auf einen am Stichtag entstandenen, aber nachrangigen Nießbrauch besteht kein Anlass. Eine Abweichung von den Regeln des Zivilrechts ist insbesondere nicht wegen einer fehlenden „wirtschaftlichen Belastung“ des Bedachten geboten. Bürgerlich-rechtlich geprägte Begriffe, wie der der aufschiebenden Bedingung in § 6 Abs. 1 BewG, können nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgelegt werden. Ob eine Last aufschiebend bedingt ist, weil sie erst bei Eintritt eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses entsteht, hängt nicht davon ab, ob der Eintritt des Ereignisses mehr oder weniger wahrscheinlich ist[8].
Ein vom Schenker vorbehaltener lebenslanger Nießbrauch mindert den Erwerb des Bedachten danach grundsätzlich auch dann, wenn an dem Zuwendungsgegenstand bereits ein lebenslanger Nießbrauch eines Dritten besteht. Bei der Schenkungsteuerfestsetzung sind die Nutzungsrechte in der Weise zu berücksichtigen, dass der vorrangige und der nachrangige Nießbrauch (als einheitliche Last) nur einmal, aber mit dem höheren Vervielfältiger (§ 14 BewG) abgezogen werden. Die Mehrheit von Nutzungsberechtigten bedeutet keine zusätzliche Last, sondern allenfalls eine Verlängerung der Belastungsdauer.
Die bis zum 31.12.2008 geltende Regelung des § 25 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ErbStG a.F. untersagt den Abzug des vom Schenker vorbehaltenen, nachrangigen Nießbrauchs. Die auf diesen Nießbrauch entfallende Schenkungsteuer ist aber zu stunden.
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG a.F. wird der Erwerb von Vermögen, dessen Nutzungen dem Schenker zustehen, ohne Berücksichtigung dieser Belastung besteuert. Die Steuer, die auf den Kapitalwert der Belastung entfällt, ist jedoch bis zu deren Erlöschen zinslos zu stunden (§ 25 Abs. 1 Satz 2 ErbStG a.F.). Die gestundete Steuer kann auf Antrag des Erwerbers jederzeit mit ihrem Barwert nach § 12 Abs. 3 BewG abgelöst werden (§ 25 Abs. 1 Satz 3 ErbStG a.F.). Die Vorschriften gelten nur für solche Belastungen, die ohne das Abzugsverbot des Satzes 1 bereicherungsmindernd zu berücksichtigen wären[9].
Die Stundung der Steuer ist untrennbarer Bestandteil der Steuerfestsetzung[10]. Der Stundungsbetrag ergibt sich aus der Differenz zwischen der unter Beachtung des Abzugsverbots festzusetzenden Steuer und derjenigen Steuer, die ohne das Abzugsverbot entstanden wäre[11]. Hat sich der Schenker den lebenslangen Nießbrauch vorbehalten, obwohl der Zuwendungsgegenstand bereits mit dem lebenslangen Nießbrauch eines Dritten belastet war, erfasst das Abzugsverbot die Differenz zwischen den Kapitalwerten des nachrangigen Nießbrauchs des Schenkers und des vorrangigen Nießbrauchs des Dritten. Die hierauf entfallende („Mehr-„)Steuer wird bis zum Erlöschen des Nießbrauchs des Schenkers zinslos gestundet.
Im hier entschiedenen Streitfall ist damit der Anwendungsbereich des § 25 ErbStG a.F. eröffnet, da der von der Schenkerin vorbehaltene Nießbrauch nicht dem Abzugsverbot des § 6 Abs. 1 BewG unterliegt. Mit der Schenkung des hälftigen GbR-Anteils am …2008 durch die Schenkerin an ihre Tochter ist dieser Nießbrauch entstanden und hat einen Rang nach dem Nießbrauch der M erhalten. Soweit der anteilige -d.h. der auf den GbR-Anteil der Tochter entfallende- Kapitalwert des Nießbrauchs der Schenkerin den anteiligen Kapitalwert des Nießbrauchs der M übersteigt, besteht ein Abzugsverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG a.F. Insoweit ist die Schenkungsteuer nach § 25 Abs. 1 Satz 2 ErbStG a.F. zu stunden. Der Ablösebetrag gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 ErbStG a.F. ist entsprechend festzusetzen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Mai 2020 – II R 11/19
- Nießbrauch, hier: § 1068 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 1030 ff. BGB[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 12.04.1989 – II R 37/87, BFHE 156, 244, BStBl II 1989, 524, unter 3.b; und vom 17.10.2001 – II R 72/99, BFHE 196, 296, BStBl II 2002, 25, unter II. 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.07.1998 – II R 84/96, BFH/NV 1999, 293, unter II. 1.b[↩]
- BFH, Urteil vom 11.01.1961 – II 272/58 U, BFHE 72, 440, BStBl III 1961, 162[↩]
- BFH, Urteil vom 30.04.1959 – III 121/58 S, BFHE 69, 142, BStBl III 1959, 315[↩]
- vgl. zum Rangrücktritt BFH, Urteil vom 25.02.1983 – III R 21/82 unter 3.; zum Rangverhältnis dinglicher Rechte z.B. Staudinger/S Heinze, BGB, 2018, § 879 Rz 1 bis 3, 5; MünchKommBGB/Kohler, 8. Aufl., § 879 Rz 1 bis 3; Palandt/Herrler, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 879 Rz 1; Erman/Artz, BGB, 15. Aufl., § 879 Rz 1 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 21.10.1955 – III 183/55 U, BFHE 61, 367, BStBl III 1955, 342; BFH, Beschlüsse vom 20.09.2000 – II B 109/99, BFH/NV 2001, 455; und vom 28.02.2019 – II B 48/18, BFH/NV 2019, 678, Rz 12[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 69, 142, BStBl III 1959, 315; vom 14.07.1967 – III R 74/66, BFHE 89, 569, BStBl III 1967, 770; und vom 04.12.1991 – II R 122/87, BFHE 166, 173, BStBl II 1992, 226, unter II. 1.a; BFH, Beschlüsse vom 11.03.1977 – III B 39/75, BFHE 121, 516, BStBl II 1977, 406, unter 3., und in BFH/NV 2019, 678, Rz 11[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2001, 455[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 156, 244, BStBl II 1989, 524, unter 1.; und vom 11.11.2009 – II R 31/07, BFHE 228, 158, BStBl II 2010, 504, unter II. 4.[↩]
- BFH, Urteil vom 06.07.2005 – II R 34/03, BFHE 210, 463, BStBl II 2005, 797, unter II. 1.a[↩]