Billigkeitserlass bei fehlerhaften Rechnungen

Ein Billigkeitserlass kann gerechtfertigt sein, wenn sich zwei Unternehmer ausgehend von den zivilrechtlichen Vereinbarungen aufgrund eines gemeinsamen Irrtums über die zutreffende steuerrechtliche Beurteilung vor höchstrichterlicher Klärung einer Streitfrage ohne Missbrauchs- oder Hinterziehungsabsicht gegenseitig Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis erteilen und aufgrund der Versteuerung der jeweils zu Unrecht gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge bei einer Gesamtbetrachtung keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt.

Billigkeitserlass bei fehlerhaften Rechnungen

Es ist nicht aus Gründen des Unionsrechts erforderlich, eine Berichtigung der Steuerschuld, die sich aus einem Steuerausweis in einer Rechnung ergibt, im Festsetzungsverfahren ohne Durchführung der in § 14c UStG vorgesehenen Berichtigungsverfahren zu ermöglichen. Denn unionsrechtlich wird die Steuerschuld, die sich aus Art.203 MwStSystRL aus einem Steuerausweis in einer Rechnung ergibt, dadurch „begrenzt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen, wenn der Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist oder wenn er die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat“[1]. Auch unionsrechtlich darf danach auf die Vornahme einer Berichtigung, wie sie im nationalen Recht vorgesehen ist, abgestellt werden. Soweit § 14 Abs. 3 UStG a.F. anders als § 14 Abs. 2 UStG a.F. keinerlei Berichtigungsverfahren vorsah, ist dies nach den Verhältnissen des Streitfalles, in dem keine Berichtigung erfolgt ist, unerheblich. Soweit sich die Klägerin hiergegen unter Hinweis auf eine zeitliche Anwendungsregelung wendet, hat dies keinen Erfolg. Denn derartige Verwaltungsregelungen sind finanzgerichtlich nicht im Festsetzungs, sondern nur in einem gesonderten Billigkeitsverfahren zu berücksichtigen[2].

Nach § 163 Satz 1 AO in seiner in den Streitjahren geltenden Fassung können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig wäre.

Die nach § 163 AO zu treffende Billigkeitsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. von § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§§ 102, 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde[3]. Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur in den Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf Null ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen[4].

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft[5]. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme[6].

Der Streitpunkt Bestelleintritt weist keine Besonderheiten auf, die einen Anspruch auf Billigkeitserlass vermitteln. Es geht hier um eine Kette von Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis, nicht um eine gegenseitige Erteilung von Rechnungen zwischen zwei Personen. Darüber hinaus beruhte der Steuerausweis in den Rechnungen auf einer ohne weiteres vermeidbaren Fehlbeurteilung. Für die Abnehmerbestimmung kommt es auf das der Leistung zugrunde liegende Rechtsverhältnis an[7], wofür die Verhältnisse bei der Leistungserbringung maßgeblich sind. Dass sich die Person des Abnehmers nach den Verhältnissen bei der Lieferung bestimmt, unterlag daher keinen Zweifeln.

Gegen ein hier bestehendes Erfordernis, Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis zu berichtigen, liegen auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entgegen der Auffassung der Klägerin keine Bedenken vor. Denn der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt nur, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat[8], nicht aber auch ein Entfallen der Steuerschuld ohne Berichtigung.

Demgegenüber hat das Finanzgericht Düsseldorf im vorliegenden Fall in der Vorinstanz in Bezug auf den Steuerausweis bei den Sale-and-Mietkauf-back-Geschäften den Anspruch auf Billigkeitserlass zutreffend bejaht[9].

Vorliegend sind die GmbH und ihre Vertragspartner von einer Lieferung durch den jeweiligen Vertragspartner an die GmbH („sale“) und eine unmittelbare Rücklieferung durch die GmbH („Mietkauf-back“) ausgegangen und haben sich für diese Lieferungen jeweils gegenseitig Rechnungen mit Steuerausweis erteilt, während umsatzsteuerrechtlich nur eine Darlehensgewährung durch die GmbH vorlag. Die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs und die Erteilung von Rechnungen mit Steuerausweis beruhte dabei auf rechtlichen Fehlvorstellungen zu Rechtsfragen, zu denen in den Streitjahren noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorlag. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Beteiligten bei der Erteilung von Rechnungen mit Steuerausweis von ihren zivilrechtlich getroffenen Vereinbarungen ausgegangen sind. Es liegen zudem keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung oder ein Handeln in Hinterziehungsabsicht vor.

Nach den Wertungen des UStG bedarf es in Fällen eines unzutreffenden Steuerausweises zwar grundsätzlich einer Rechnungsberichtigung (vgl. § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG, § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG a.F.). Dies rechtfertigt sich aus dem hiermit verfolgten Zweck, einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenzuwirken[10].

Anders ist es aber, wenn sich zwei Unternehmer ausgehend von den zivilrechtlichen Vereinbarungen aufgrund eines gemeinsamen Irrtums über die zutreffende steuerrechtliche Beurteilung vor höchstrichterlicher Klärung einer Streitfrage[11] ohne Missbrauchs- oder Hinterziehungsabsicht gegenseitig Rechnungen mit unzutreffendem Steuerausweis erteilen und aufgrund der Versteuerung der jeweils zu Unrecht gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge bei einer Gesamtbetrachtung des Sale-and-Mietkauf-back-Geschäfts keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt und auch nicht vom Finanzamt dargetan wird. Nach Maßgabe dieser Besonderheiten ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, einen Billigkeitserlass zu bejahen, obwohl die Änderung im Festsetzungsverfahren einer Rechnungsberichtigung bedarf.

Zwar kommt dem im Umsatzsteuergesetz geregelten Rechnungsberichtigungsverfahren grundsätzlich Vorrang zu. Dieses Verfahren steht einem Billigkeitserlass in völlig atypisch gelagerten Ausnahmefällen (hier: Sale-and-Mietkauf-back-Geschäfte), bei dem die unzutreffende Besteuerung zweier Vertragsparteien ausschließlich auf der irrtümlichen Annahme beruht, dass das Zivilrecht für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung maßgeblich ist, aber nicht entgegen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. September 2018 – V R 32/16

  1. EuGH, Urteil Stroy trans vom 31.01.2013 – C-642/11, EU:C:2013:54, Rz 33[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 27.07.2000 – V R 55/99, BFHE 193, 156, BStBl II 2001, 426, unter II. 1.c; und vom 14.04.2011 – IV R 15/09, BFHE 233, 206, BStBl II 2011, 706, unter II. 5.; ebenso z.B. BFH, Beschluss vom 11.02.2014 – V B 103/13, BFH/NV 2014, 739[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. GmS-OBG, Beschluss vom 19.10.1971 – GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603; BFH, Urteile vom 10.10.2001 – XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201; vom 07.10.2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865; vom 06.09.2011 – VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269[]
  4. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201; in BFH/NV 2012, 269, unter II. 1., jeweils m.w.N.[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 11.07.1996 – V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; in BFH/NV 2011, 865[]
  6. vgl. BFH, Urteile vom 16.08.2001 – V R 72/00, BFH/NV 2002, 545; in BFH/NV 2011, 865; und vom 14.03.2012 – XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493[]
  7. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 18.02.2009 – V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, unter II. 2.a aa[]
  8. BFH, Urteil vom 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474, unter II. 3.b[]
  9. FG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2015 – 5 K 4098/11 U, AO[]
  10. vgl. hierzu BFH, Urteil in BFHE 255, 474, unter II. 2.c aa[]
  11. hier: BFH, Urteil in BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727[]