Erstattungsanspruch der Holding für die Kapitalertragsteuer

In denjenigen Fällen, in denen ein Dritter für Rechnung des Steuerschuldners die Steuer zu entrichten hat, ist grundsätzlich der Steuerschuldner erstattungsberechtigt[1].

Erstattungsanspruch der Holding für die Kapitalertragsteuer

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall wurde die – in Liquidation befindliche – Tochter-GmbH in ihrer Eigenschaft als gemäß §§ 44 Abs. 1 Satz 3, 50d Abs. 1 EStG 1997 n.F.[2] entrichtungspflichtige Vergütungsschuldnerin zur Zahlung herangezogen[3].

Sie hat damit aufgrund einer eigenen Rechtspflicht für Rechnung der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG 1999 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG 1997 n.F.) gezahlt. Denn Letztere war als Gläubigerin der Kapitalerträge Schuldnerin der Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F.).

Bei der Anordnung von Steuerentrichtungspflichten geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass der entrichtungspflichtige Dritte auf Rechnung des Steuerschuldners leistet, was sich unmittelbar aus § 43 Satz 2 AO oder aus § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG 1997 n.F. ergibt. Zwischen der Zahlung des Entrichtungspflichtigen aufgrund einer von ihm selbst abgegebenen Kapitalertragsteueranmeldung (vgl. § 45a Abs. 1, § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG 1997 n.F.) und einer Zahlung aufgrund eines als Folge der Nichtabgabe der gebotenen Steueranmeldung ergangenen Steuerbescheids (vgl. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO)[4] bestehen insoweit keine Unterschiede.

Der Entrichtungspflichtige zahlt in beiden Fällen erkennbar auf die Steuerschuld des Gläubigers der Kapitalerträge als dem Schuldner der Kapitalertragsteuer[5]. Als die Muttergesellschaft im vorliegenden Fall dem Leistungsgebot aus dem Nachforderungsbescheid nachkam, hat sie damit allein ihrer „normalen“ Entrichtungspflicht genügt. Diese Zahlung wird aber dem gesetzlichen Regelfall entsprechend der materiellen Steuerschuld des Steuerschuldners zugeordnet. Nichts anderes kann für den Teilbetrag gelten, den die Tochtergesellschaft selbst geleistet hat.

Gewichtige Gründe, den Erstattungsanspruch entgegen der gesetzlichen Konzeption ausnahmsweise dem entrichtungspflichtigen Dritten zuzuweisen, bestehen nicht.

In der zum Lohnsteuerrecht ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wurde ein eigener Erstattungsanspruch des entrichtungspflichtigen Arbeitgebers ausnahmsweise vereinzelt anerkannt. Doch handelte es sich hierbei um mit dem Streitfall nicht vergleichbare Konstellationen. So wurde die Erstattungsberechtigung des Arbeitgebers etwa dann angenommen, wenn er die Lohnsteuer versehentlich doppelt abführt, diese aber nur einfach dem Arbeitnehmer belastet, oder wenn er zwar Lohnsteuer abführt, den Arbeitslohn jedoch nicht auszahlt[6]. Überträgt man diese Rechtsprechung sinngemäß auf den Streitfall, so ist zu konstatieren, dass weder eine Doppelzahlung zur Beurteilung ansteht, noch Kapitalertragsteuer ohne Auszahlung der Kapitalerträge abgeführt wurde. Ob der Bundesfinanzhof dem in einem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergangenen BFH, Beschluss in BFH/NV 2000, 547, auf den das Finanzamt maßgeblich abstellt, folgen könnte, kann somit dahinstehen.

Ob in einem zivilrechtlichen Sinne die Klägerin, die die Bruttodividende ungekürzt erhalten hat, zulasten der Beigeladenen -jedenfalls in Höhe des von der Beigeladenen geleisteten Teilbetrages- ungerechtfertigt bereichert ist, wenn ihr und nicht jener die Kapitalertragsteuer erstattet wird, rechtfertigt entgegen der Revisionsbegründung des Finanzamt keine vom Gesetz abweichende steuerliche Zuordnung der Zahlung. Wird der entrichtungspflichtige Dritte wegen Nichterfüllung seiner Einbehaltungs- und Abführungspflicht in Haftung genommen, so geht nunmehr auch der Gesetzgeber in § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15.12 2003[7] davon aus, dass sich der Gläubiger der Kapitalerträge -und nicht der Dritte- die Beträge erstatten lassen kann[8]. Dies macht deutlich, dass die Zuweisung der Erstattungsberechtigung an die Klägerin den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwiderläuft.

Der tatbestandlich erfüllte allgemeine Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO wird nicht von Spezialregelungen verdrängt.

Der Erstattungsanspruch aus § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. i.V.m. § 37 Abs. 2 AO ist nicht einschlägig, weil im Streitfall kein Freistellungsbescheid, sondern lediglich eine Freistellungsbescheinigung ergangen ist[9]. Da § 50d EStG 1997 n.F. keine Erstattungsregelung für den Fall der nachträglichen Erteilung einer Freistellungsbescheinigung enthält, ist auf die allgemeine Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO zurückzugreifen.

§ 44b Abs. 5 EStG 1997 regelt Fälle der Erstattung einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuern. Erstattungsberechtigt ist abweichend von der Grundregel des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO nicht der Steuerschuldner, also der Gläubiger der Kapitalerträge, sondern gemäß § 44b Abs. 5 Satz 2 EStG 1997 der Schuldner der Kapitalerträge als entrichtungspflichtiger Dritter[10]. Die Voraussetzungen einer Erstattung gemäß § 44b Abs. 5 Satz 1 EStG 1997 liegen im Streitfall indes nicht vor. Eine Erstattung gemäß § 44b Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 EStG 1997 setzt eine fehlende Verpflichtung zum Einbehalten und Abführen der Kapitalertragsteuer voraus. Hieran fehlt es, weil die Beigeladene aufgrund Gesetzes (§ 44 Abs. 1 Satz 3, § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG 1997 n.F.) im Fall des § 44d EStG 1997 -entspricht § 43b EStG 2009- zum Einbehalt und zur Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet war[11]. Darin liegt auch der Unterschied zum BFH, Urteil in BFHE 207, 159, BStBl II 2005, 31, das vom Finanzamt argumentativ herangezogen wird. Im damals entschiedenen Fall bestand keine Abzugsverpflichtung, so dass § 44b Abs. 5 EStG 1997 unmittelbar einschlägig war. Die in § 44b Abs. 5 Satz 1 Alternative 2 EStG 1997 aufgeführten Erstattungstatbestände sind ebenfalls nicht gegeben, weil es im Streitfall nicht um die verspätete Vorlage der dort genannten Bescheinigungen (z.B. Nichtveranlagungsbescheinigungen, Freistellungsaufträge) geht.

Für eine analoge Anwendung des § 44b Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 oder 2 EStG 1997 ist kein Raum[12]. Es fehlt bereits an einer Regelungslücke. Der Sachverhalt der nachträglich erteilten Freistellungsbescheinigung ist nicht, wie bei der Gesetzesanalogie vorausgesetzt, ungeregelt, sondern geregelt. Wird nämlich aufgrund der nachträglich erteilten Freistellungsbescheinigung, wie im Streitfall geschehen, der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Steuer (Nachforderungsbescheid) beseitigt, dann löst dies unmittelbar eine Erstattungspflicht gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO aus[13]. Dort ist auch die Frage, welcher Person die Erstattungsberechtigung zusteht, durch das Tatbestandsmerkmal „derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist“, ausdrücklich geregelt. Dem entsprechend steht im Fall der nachträglich erteilten Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 3 EStG 1997 n.F. dem Gläubiger der Kapitalerträge ein Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO zu[14]. Davon geht ersichtlich auch das BFH, Urteil in BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291 aus.

Zudem handelt es sich bei der Regelung des § 44b Abs. 5 EStG 1997, insbesondere was die in Satz 2 angeordnete Zuweisung der Erstattungsberechtigung an den Vergütungsschuldner betrifft, nicht um die Ausprägung eines allgemeinen Rechtsgedankens, sondern ihrerseits um eine spezielle Ausnahme von den Grundregeln der § 37 Abs. 2, § 43 Satz 2 AO[15]. Vorschriften mit Ausnahmecharakter sind aber grundsätzlich eng und nicht extensiv auszulegen und anzuwenden[16].

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. Januar 2015 – I R 11/13

  1. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 61, m.w.N.[]
  2. i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23.10.2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428[]
  3. vgl. zur Einbehaltungs- und Abführungspflicht z.B. BFH, Urteile vom 11.01.2012 – I R 25/10, BFHE 236, 318; vom 19.12 2012 – I R 81/11, BFH/NV 2013, 698[]
  4. vgl. dazu BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 698[]
  5. vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 58, 68; Klein/Ratschow, AO, 12. Aufl., § 37 Rz 61, 63, jeweils m.w.N.[]
  6. BFH, Beschluss vom 15.11.1999 – VII B 155/99, BFH/NV 2000, 547; anders jedoch BFH, Urteil vom 17.06.2009 – VI R 46/07, BFHE 226, 53, BStBl II 2010, 72; zum Ganzen vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 61; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO Rz 67[]
  7. BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710[]
  8. Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 50d Rz 36; Klein/Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, § 50d EStG Rz 16 und 17[]
  9. zur Unterscheidung vgl. BFH, Urteil vom 11.10.2000 – I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 14.07.2004 – I R 100/03, BFHE 207, 159, BStBl II 2005, 31[]
  11. vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 20. Aufl., § 44b Rz 12[]
  12. vgl. Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 44b Rz 38, zur nachträglich erteilten Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG 2009[]
  13. Buciek, IStR 2001, 102, 104; Klein, IStR 2002, 157; Frotscher in Frotscher, EStG, § 50d Rz 29 f.[]
  14. Buciek, a.a.O.; Klein, a.a.O.; Frotscher, a.a.O.[]
  15. Oettler in Lademann, EStG, § 44b Rz 29; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 37 AO Rz 61a[]
  16. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 29.05.2008 – IX R 62/05, BFHE 221, 227, BStBl II 2008, 856; vom 20.02.2013 – XI R 12/11, BFHE 241, 72, BStBl II 2013, 645[]