Zurückverweisung durch das BVerfG – und die Entscheidung im schriftlichen Verfahren

Wenn die Beteiligten -nachdem das Bundesverfassungsgericht das im Einvernehmen mit den Beteiligten im schriftlichen Verfahren ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aufgehoben und die Sache an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen hat- nicht ausdrücklich geltend machen, dass ihre vormaligen Verzichtserklärungen keine Wirkung mehr haben sollen, wirken sie fort.

So entschied der Bundesfinanzhof im vorliegenden Fall durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da beide Beteiligten im Revisionsverfahren auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO). Zwar wurden die Verzichtserklärungen vor Ergehen des aufgehobenen BFH, Urteils[1] abgegeben. Durch dieses Urteil und die anschließende Aufhebung ist es aber nicht zu einem sogenannten Verbrauch der Verzichtserklärungen gekommen; die Beteiligten haben auch nicht erklärt, dass ihre Verzichtserklärungen nicht mehr gelten sollten beziehungsweise wegen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage zu widerrufen seien.

Die Finanzgerichtsordnung sieht einen Verbrauch der Verzichtserklärung nicht ausdrücklich vor[2]. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zuweilen von einem Verbrauch ausgegangen wurde, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof dem folgen könnte. Denn diese Rechtsprechung betrifft andere prozessuale Konstellationen (zum Beispiel -jeweils nach erklärtem Verzicht- die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines Erörterungstermins unter Anordnung des persönlichen Erscheinens, den Erlass einer Aufklärungsanordnung, die Erteilung rechtlicher Hinweise oder eine erneute Anfrage hinsichtlich eines Verzichts) und beruht im Wesentlichen auf der Überlegung, dass eine Verzichtserklärung dadurch wirkungslos wird, dass das Gericht selbst den Beteiligten gegenüber zum Ausdruck bringt, dass es eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allein durch den früher erklärten Verzicht nicht mehr für hinreichend legitimiert ansieht[3].

Eine vergleichbare Situation liegt im Streitfall aber nicht vor. Vielmehr ist das Revisionsverfahren nach Aufhebung des Urteils des Bundesfinanzhofs und Zurückverweisung der Sache durch das Bundesverfassungsgericht wieder in dem prozessualen Stand, in dem es vor Erlass des aufgehobenen BFH, Urteils war. Es ist so zu verfahren, als habe es sowohl das „erste“ BFH-Urteil als auch die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung nicht gegeben[4].

Dann gibt es aber keinen sachlichen Grund, die Wirksamkeit der Verzichtserklärungen in Zweifel zu ziehen und es kann insbesondere allein der eingetretene Zeitablauf nicht zu einem Verbrauch führen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. April 2024 – I R 67/23

  1. BFH, Urteil vom 14.08.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757[]
  2. z.B. Brandis in Tipke/Kruse, § 90 FGO Rz 11; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 FGO Rz 64; Wendl in Gosch, FGO § 90 Rz 40[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 31.08.2010 – VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126; BFH, Beschlüsse vom 10.03.2011 – VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556; vom 04.08.2016 – X B 145/15, BFH/NV 2016, 1744; je m.w.N.[]
  4. vgl. allgemein BFH, Urteile vom 14.08.1980 – V R 142/75, BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71; vom 17.12.1996 – IX R 47/95, BFHE 182, 178, BStBl II 1997, 348; vom 18.02.1997 – IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409 – jeweils zur im Grundsatz vergleichbaren Situation der Einheitlichkeit des erstinstanzlichen Klageverfahrens nach Zurückverweisung gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO[]