Die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde stellt keine Leistung gegen Entgelt im Sinne der § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dar, wenn die Gemeinde von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten, aufgrund einer kommunalen Satzung eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, wobei die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Taxe nicht an die Nutzung dieser Einrichtungen, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet geknüpft ist und diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet.
Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 168 Buchst. a MwStSystRL. Danach ist der Steuerpflichtige, der „Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet“, zum Vorsteuerabzug berechtigt. Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) zu verwenden beabsichtigt[1].
Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist dabei nicht nach zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen[2]. Es stellt eine unionsrechtliche -unabhängig von der Beurteilung nach nationalem Recht zu entscheidende- Frage dar, ob die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für die Erbringung von Dienstleistungen erfolgt[3].
Für eine entgeltliche Leistung muss zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet[4]. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein. Er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt[5].
Für den hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Vorabentscheidungsverfahren mit seinem Urteil „Gemeinde A“[6] bindend entschieden, dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde keine Leistung gegen Entgelt darstellt, wenn die Gemeinde von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten, aufgrund einer kommunalen Satzung eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, wobei die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Taxe nicht an die Nutzung dieser Einrichtungen, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet geknüpft ist und diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind.
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall das Vorliegen einer Leistung der Gemeinde an die Kurgäste gegen Entgelt zu verneinen und der Vorsteuerabzug für die streitbefangenen Eingangsleistungen zu versagen.
Soweit der Gemeinde der Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen an sich möglicherweise in geringerem Umfang als bisher gewährt zusteht, ist im finanzgerichtlichen Verfahren eine Verböserung (reformatio in peius) verboten[7].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. Oktober 2023 – XI R 21/23 (XI R 30/19)
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 09.02.2012 – V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844, Rz 19 ff., m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung; vom 15.04.2015 – V R 44/14, BFHE 250, 263, BStBl II 2015, 679, Rz 10; vom 21.10.2015 – XI R 28/14, BFHE 252, 460, BStBl II 2016, 550, Rz 28; vom 02.12.2015 – V R 15/15, BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486, Rz 14; vom 18.09.2019 – XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 17.12.2009 – V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869, Rz 17; vom 16.01.2014 – V R 22/13, BFH/NV 2014, 736, Rz 22; BGH, Urteil vom 18.05.2011 – VIII ZR 260/10, Umsatzsteuer-Rundschau 2011, 813, Rz 11; jeweils m.w.N.; BFH, Urteil vom 22.05.2019 – XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256, Rz 18[↩]
- vgl. EuGH, Urteile Meo – Serviços de Comunicações e Multimédia vom 22.11.2018 – C-295/17, EU:C:2018:942, Rz 68; Gemeinde A vom 13.07.2023 – C-344/22, EU:C:2023:580, Rz 29; BFH, Urteile vom 21.12.2016 – XI R 27/14, BFHE 257, 154, BStBl II 2021, 779, Rz 29; jeweils m.w.N.; vom 13.02.2019 – XI R 1/17, BFHE 263, 560, BStBl II 2021, 785, Rz 18; vom 22.05.2019 – XI R 20/17 BFH/NV 2019, 1256, Rz 18[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteile Société thermale d’Eugénie-les-Bains vom 18.07.2007 – C-277/05, EU:C:2007:440, Rz 19; Air France-KLM und Hop!-Brit Air vom 23.12.2015 – C-250/14 und – C-289/14, EU:C:2015:841, Rz 22; Cesky rozhlas vom 22.06.2016 – C-11/15, EU:C:2016:470, Rz 21; SAWP vom 18.01.2017 – C-37/16, EU:C:2017:22, Rz 25; Meo – Serviços de Comunicações e Multimédia vom 22.11.2018 – C-295/17, EU:C:2018:942, Rz 39; Apcoa Parking Danmark vom 20.01.2022 – C-90/20, EU:C:2022:37, Rz 27; Gemeinde A vom 13.07.2023 – C-344/22, EU:C:2023:580, Rz 33; BFH, Urteile vom 21.12.2016 – XI R 27/14, BFHE 257, 154, BStBl II 2021, 779, Rz 16; vom 13.02.2019 – XI R 1/17, BFHE 263, 560, BStBl II 2021, 785, Rz 16; vom 22.05.2019 – XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256, Rz 15[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 07.07.2005 – V R 34/03, BFHE 211, 59, BStBl II 2007, 66, unter II. 1., Rz 14, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH; vom 16.01.2014 – V R 22/13, BFH/NV 2014, 736, Rz 20; vom 22.05.2019 – XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256, Rz 16[↩]
- EuGH, Urteil „Gemeinde A“ vom 13.07.2023 – C-344/22, EU:C:2023:580[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 22.05.2019 – XI R 1/18, BFHE 264, 529, BStBl II 2020, 132, Rz 49; vom 20.11.2019 – XI R 52/17, BFHE 267, 49, BStBl II 2020, 264, Rz 33, 56; vom 27.05.2020 – XI R 9/19, BFHE 269, 138, BStBl II 2020, 802, Rz 41[↩]




