Überstundenvergütung – und die Nachzahlung für die letzten Jahr

Werden Überstundenvergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet, ist die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG zu gewähren.

Überstundenvergütung – und die Nachzahlung für die letzten Jahr

Mit steigendem Einkommen erhöht sich die Einkommensteuer progressiv. Werden Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit nicht laufend, sondern in einer Summe ausgezahlt, führt der Progressionseffekt zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Steuer(mehr)belastung. Um die progressive Wirkung des Einkommensteuertarifs bei dem zusammengeballten Zufluss von Lohnnachzahlungen zu mildern, sieht das Gesetz die Besteuerung dieser Nachzahlungen mit einem ermäßigten Steuersatz vor. Voraussetzung ist allerdings, dass die Nachzahlung sich auf die Vergütung für eine Tätigkeit bezieht, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hatte der klagende Arbeitnehmer über einen Zeitraum von drei Jahren in erheblichem Umfang Überstunden geleistet. Erst im vierten Jahr wurden dem Arbeitnehmer die Überstunden in einer Summe vergütet. Das Finanzamt unterwarf die Überstundenvergütung dem normalen Einkommensteuertarif.

Der Bundesfinanzhof -wie zuvor auch das Finanzgericht Münster[1]– folgten indes dem Antrag des Arbeitnehmers und wendeten auf den Nachzahlungsbetrag den ermäßigten Steuertarif an. Der Bundesfinanzhof hat dabei klargestellt, dass die Tarifermäßigung nicht nur auf die Nachzahlung von Festlohnbestandteilen, sondern auch auf Nachzahlungen von variablen Lohnbestandteilen -hier in Form der Überstundenvergütungen- Anwendung findet. Hier wie dort ist allein entscheidend, ob die nachgezahlte Vergütung für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet worden ist.

Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4  1. Halbsatz EStG).

Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden[2]. Die mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu[3].

Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen[4].

Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit kann insbesondere auch eine Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume sein[5]. Dabei steht der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen[6]. Voraussetzung ist nur, dass der Zufluss insgesamt mehrere Jahre betrifft[7].

Die genannten Grundsätze gelten auch für den Fall der nachträglichen Auszahlung von Überstundenvergütungen, soweit die Vergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden[8]. Umfasst der Zeitraum, für den Überstunden veranlagungszeitraumübergreifend vergütet werden, mehr als zwölf Monate, ist danach die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG zu gewähren.

Im Streitjahr hat die GmbH dem Arbeitnehmer Überstundenvergütungen für die Jahre 2013 bis 2015 ausbezahlt. Mithin handelt es sich nach den angeführten Rechtsgrundsätzen um ein zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit. Für die veranlagungszeitraumübergreifende Vergütung der Überstunden war daher die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu gewähren.

Schließlich liegen im Streitfall auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine Zusammenballung vor. Denn die Abgeltung der Überstunden erfolgte aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Dezember 2021 – VI R 23/19

  1. FG Münster, Urteil vom 23.05.2019 – 3 K 1007/18 E[]
  2. z.B. BFH, Urteile vom 03.07.1987 – VI R 43/86, BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820; vom 07.08.2014 – VI R 57/12; und vom 07.05.2015 – VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890[]
  3. BFH, Urteile vom 16.12.1996 – VI R 51/96, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222; in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890; und vom 31.08.2016 – VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322[]
  4. BFH, Urteile in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, und in BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322[]
  5. BFH, Urteile vom 10.06.1983 – VI R 106/79, BFHE 138, 454, BStBl II 1983, 575; vom 28.09.1984 – VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117; vom 10.06.1983 – VI R 176/80, BFHE 138, 456, BStBl II 1983, 642; vom 22.07.1993 – VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795; und vom 14.10.2004 – VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289[]
  6. BFH, Urteile vom 11.06.1970 – VI R 338/67, BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289[]
  7. BFH, Urteile vom 17.07.1970 – VI R 66/67, BFHE 99, 381, BStBl II 1970, 683, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289[]
  8. so auch Mellinghoff in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 34 Rz 33; Schiffers in Korn, § 34 EStG Rz 59[]