Erhält das verheiratete Kind eines Kindergeldberechtigten von seinem getrennt lebenden Ehegatten keine Unterhaltszahlungen, so darf der Unterhaltsanspruch nicht als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt werden[1].

Für ein volljähriges Kind, das einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG erfüllt, wird gemäß § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG Kindergeld gewährt, wenn seine Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einen Grenzbetrag nicht übersteigen, der sich im Jahr 2003 auf 7.188 EUR belief.
Zu den Bezügen eines verheirateten Kindes gehören auch die Unterhaltsleistungen des Ehegatten. Allerdings besteht nach der Eheschließung des Kindes grundsätzlich kein Kindergeldanspruch der Eltern mehr, weil ab diesem Zeitpunkt in erster Linie der Ehepartner dem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist (§ 1608 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 1360, 1360a BGB). Die Eltern sind nur noch nachrangig unterhaltsverpflichtet. Ausnahmsweise müssen Eltern gegenüber ihrem verheirateten Kind Unterhaltsleistungen erbringen, wenn das Einkommen des Ehepartners so gering ist, dass er zum vollständigen Unterhalt nicht in der Lage ist sog. Mangelfall-[2]. Ein Mangelfall ist bei kinderlosen Ehen anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschreiten[3].
Die Höhe der als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzenden Unterhaltsleistungen lässt sich bei Ehegatten, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, in der Regel nur rechnerisch ermitteln, da sich die tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Geldmitteln oder von Gütern in Geldeswert (vgl. § 8 Abs. 1 EStG) innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft zumeist nicht nachvollziehen lassen. Die Unterhaltsleistungen des zum Unterhalt verpflichteten Ehepartners sind deshalb regelmäßig zu schätzen. Bei einer kinderlosen Ehe, in der ein Ehepartner allein verdient und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass dem nicht verdienenden Ehepartner in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt. Verfügt das Kind auch über eigene Mittel, so ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen[3]. Bei Prüfung der Frage, in welcher Höhe dem geringer verdienenden Ehegatten Unterhaltsleistungen seitens des höher Verdienenden als Bezüge zuzurechnen sind, ist somit in der Regel nicht auf den tatsächlichen Zufluss von Unterhaltsleistungen abzustellen.
Dagegen können bei getrennt lebenden Ehegatten die Unterhaltsleistungen des höher verdienenden Ehegatten dem Grunde und der Höhe nach bestimmt werden. In solchen Fällen ist entgegen Abschn. 63.4.2.5 Abs. 6 Satz 3 DAFamEStG 2004[4] (nunmehr Abschn. 31.02.2 Abs. 6 Satz 3 DAFamEStG 2010[5]) das Zuflussprinzip anzuwenden, das auch in anderen Fällen für Bezüge gilt[6]. Unterhaltsleistungen eines getrennt lebenden Ehegatten sind demnach nur dann als Bezüge im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzen, wenn sie dem unterhaltsberechtigten Ehegatten auch tatsächlich zugeflossen sind, sofern dieser nicht auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat (§ 32 Abs. 4 Satz 9 EStG).
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22. Dezember 2011 – III R 8/08
- entgegen Abschn. 31.2.2. Abs. 6 Satz 3 DA-FamEStG 2010[↩]
- BFH, Urteil vom 02.03.2000 – VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522; BFH, Urteile vom 19.04.2007 – III R 65/06, BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, und vom 04.08.2011 – III R 48/08, BStBl II 2011, 975[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, m.w.N.[↩][↩]
- Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DAFamEStG), Stand 2004, BStBl I 2004, 743[↩]
- BStBl I 2009, 1030, sowie BStBl I 2011, 21[↩]
- BFH, Urteil vom 16.04.2002 – VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525, m.w.N.; Dürr in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, 1998 ff., § 32 Rz 84[↩]




