Erwerbsaufwendungen für verfallene Termingeschäfte

Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Knock-Out-Zertifikats sind steuerrechtlich ohne Bedeutung, wenn der Erwerber das darin verbriefte Recht auf Differenzausgleich nicht innerhalb eines Jahres ausübt oder veräußert, sondern es –aus welchen Gründen auch immer– verfallen lässt.

Erwerbsaufwendungen für verfallene Termingeschäfte

Die Steuerbarkeit des Verlusts ergibt sich nicht schon aus § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Danach gelten Zertifikate, die Aktien vertreten, und Optionsscheine als Termingeschäfte im Sinne des Satzes 1.

Diese gegenüber § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG vorrangige, da speziellere Vorschrift, ist hier nicht anwendbar. Zwar ist § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entgegen der Auffassung des Finanzgericht nicht überflüssig. Die Norm erfasst Zertifikate, und zwar unabhängig davon, ob sie die Voraussetzungen eines Termingeschäfts erfüllen. Die Vorschrift betrifft aber keine Zertifikate auf einen Index (z.B. wie hier- auf den Goldpreis), sondern entsprechend ihres Wortlauts nur solche, die Aktien vertreten. Damit nimmt das Einkommensteuergesetz eine Formulierung auf, die das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) in § 2 Abs. 1 verwendet. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG i.d.F. des Streitjahres definiert wie auch neuere Fassungen des Gesetzes- als Wertpapiere u.a. Zertifikate, die Aktien vertreten. Darunter versteht man Finanzinstrumente, die wirtschaftlich an die Stelle der unmittelbaren Beteiligung am Grundkapital der Aktiengesellschaft treten, z.B. sog. American Depositary Receipts, ADRs[1].

Wenn im Schrifttum erwogen wird, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ganz allgemein auch auf Indexzertifikate anzuwenden[2], so lässt sich dies vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts der Norm nicht rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat sich explizit am begrifflichen Verständnis des Wertpapierhandelsgesetzes orientiert[3]. Eine abweichende Interpretation ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27. November 2001[4]. Wenn dort der Ausdruck „Index“ verwendet wird, so lediglich im Kontext mit Wert einer oder mehrerer Aktien.

Der Verlust, um den es hier geht, ist auch nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG steuerbar. Mit dem Termingeschäft erfasst diese Vorschrift einen „Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil …, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil nicht mehr als ein Jahr beträgt“. Auch hier orientiert sich das Gesetz am Wertpapierhandelsgesetz, indem es den dort definierten Begriff des Termingeschäfts verwendet[5].

Es ist schon zweifelhaft, ob die Knock-Out-Zertifikate überhaupt als Termingeschäfte nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG steuerbar sind.

Orientiert man sich wie das Gesetz- am Zivilrecht, handelt es sich bei dem Zertifikat nicht um ein typisches Termingeschäft, sondern um ein sog. Kassageschäft, bei dem der Anleger sofort Barvermögen oder einen Kreditbetrag einsetzen muss. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Börsentermingeschäfte standarisierte Verträge, die von beiden Seiten erst zu einem späteren Zeitpunkt, dem Ende der Laufzeit, zu erfüllen sind und einen Bezug zum Terminmarkt haben. Indexzertifikate sind regelmäßig keine Börsentermingeschäfte; sie sind strukturierte Finanzprodukte in der Form einer Inhaberschuldverschreibung, die den Anspruch des Inhabers gegen den Emittenten auf Zahlung eines Geldbetrages verbriefen, dessen Höhe vom Stand der zugrunde gelegten Basiswerte (sog. Underlyings) abhängt[6].

Indes wird bei sog. Hebelprodukten, wie sie Hebel, Knock-Out- oder Turbo-Zertifikate darstellen, im Schrifttum eine differenzierende Auffassung vertreten. Knockouts sind spezielle Terminkontrakte, die mit begrenzter oder unbegrenzter Laufzeit angeboten werden. Der Anleger kann sowohl auf steigende als auch auf fallende Kurse (hier z.B. auf Gold) setzen. Wegen der ausgeprägten Hebelwirkung von KnockoutProdukten kann der Anleger überproportional an der Entwicklung des Basiswertes partizipieren; die Hebelwirkung ergibt sich daraus, dass das Hebelprodukt wesentlich weniger kostet als der Basiswert. Wird ein solches KnockoutProdukt vorzeitig fällig, weil der Kurs des Basiswertes die jeweilige KnockoutSchwelle berührt oder unter- bzw. überschreitet, verfällt das Wertpapier als wertlos[7]. Die Position des Inhabers eines solchen Zertifikats wird im Schrifttum mit derjenigen aus einem Finanztermingeschäft als vergleichbar gewürdigt: Beide haben nur die Chance, einen endgültigen Anspruch zu erlangen. Allein die Tatsache, dass die Option aufschiebend bedingt und die Schuldverschreibung auflösend bedingt ist, vermag nach dieser Auffassung eine unterschiedliche Bewertung nicht zu rechtfertigen, so dass auch derartige auflösend bedingte Schuldverschreibungen bei der notwendigen Gesamtbetrachtung als Finanztermingeschäfte zu qualifizieren seien[8].

Der Bundesfinanzhof kann unerörtert lassen, ob er Knock-Out-Zertifikate, wie sie im Streitfall als Vollrisikozertifikate vorliegen, unter § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG subsumiert[9]. Denn jedenfalls hat der Antragsteller durch das bloße Verfallenlassen, bei dem es nicht zu einer weiteren Zahlung gekommen ist, den Tatbestand des Termingeschäfts nicht erfüllt.

Wer ein Knock-Out-Zertifikat erwirbt, erwirbt zwar ein Recht auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG. Er kann von der Emittentin (hier der C-Bank) zu bestimmten Einlöseterminen die Zahlung eines Einlösebetrags verlangen, der sich durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmt[10].

Den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG erfüllt indes nur, wer durch die Beendigung des erworbenen Rechts auf Differenzausgleich tatsächlich einen Differenzausgleich erlangt; denn die Vorschrift erfasst nur Vorteile, die auf dem Basisgeschäft beruhen[11]. Hieran fehlt es, wenn der Anleger von seinem Recht auf Differenzausgleich keinen Gebrauch macht und es verfallen lässt[12]. Das bloße Verfallenlassen, bei dem es nicht zu einer weiteren Zahlung kommt, es also bei den Anschaffungskosten der Berechtigten verbleibt, stellt kein Termingeschäft dar[13].

Der Antragsteller kann seinen Aufwand auch nicht als vorab entstandene Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG geltend machen. Zwar können Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn sie anfallen, bevor mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen erzielt werden. Es bestehen aber keinerlei rechtliche Zweifel, dass es an dem hierzu notwendigen ausreichend bestimmten wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Aufwendungen zum Erwerb des Zertifikats und der Einkunftsart der privaten Veräußerungsgeschäfte fehlt, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird[14].

Zwar handelt es sich bei § 23 Abs. 1 EStG um einen sog. gestreckten Steuertatbestand, dessen Verwirklichen mit der Anschaffung des Wirtschaftsguts beginnt[15], so dass Aufwendungen, die während des maßgebenden Zeitraums angefallen sind, grundsätzlich Werbungskosten sein können[16]. Daraus folgt aber nicht, dass die Anschaffungskosten als Werbungskosten abziehbar wären, wenn es nicht zu einem die Steuerbarkeit konstituierenden- Veräußerungsgeschäft kommt, der Steuertatbestand mithin nicht verwirklicht wird. Der wirtschaftliche Zusammenhang wird nicht durch die Einkünfteerzielungsabsicht hergestellt[17]. Das alle Einkunftsarten kennzeichnende Merkmal der Einkünfteerzielungsabsicht wird für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften bezogen auf das jeweilige einzelne Termingeschäft- durch die verhältnismäßig kurzen maßgebenden Zeiträume in typisierender Weise objektiviert[18].

Das bedeutet: Macht der Anleger von seinem Recht auf Differenzausgleich innerhalb der Frist Gebrauch, ist das Ergebnis steuerbar; subjektive Merkmale sind nicht zu prüfen[19]. Kommt es innerhalb dieses Zeitraumes andererseits nicht zu einem Termingeschäft, so fällt umgekehrt die Tätigkeit des Steuerpflichtigen insgesamt in die nicht steuerbare Vermögenssphäre. Mithin sind der Erwerb eines Zertifikats und die damit verbundenen Aufwendungen steuerrechtlich ohne Bedeutung, wenn der Erwerber sein Recht nicht innerhalb eines Jahres ausübt oder veräußert, sondern aus welchen Gründen auch immer- verfallen lässt.

Die Besteuerung der Termingeschäfte widerspricht nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr ist ihr Ergebnis (kein Abzug der Anschaffungskosten eines nicht ausgeübten Termingeschäfts bei Verfall) die folgerichtige Ausprägung der Systematik des § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 EStG. Der Bundesfinanzhof verweist dazu, um Wiederholungen zu vermeiden, auf seine Entscheidungen in BFHE 219, 574, BStBl II 2008, 519, und in BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608.

Damit hält der Bundesfinanzhof an seiner Rechtsprechung fest, wie dies auch in seinem Beschluss in BFH/NV 2010, 869 zum Ausdruck kam. Hierfür spricht neben den oben angeführten Argumenten auch der Grundsatz der Rechtskontinuität. Der Kontinuität der Rechtsprechung kommt große Bedeutung zu; sie dient der von Art.20 Abs. 3 GG umfassten Rechtssicherheit und kann nur aus wichtigem Grund aufgegeben werden[20]. Es wäre nicht angemessen, eine jahrelange kontinuierliche Rechtsprechung, die zur Grundlage der ständigen Verwaltungspraxis geworden ist, nach Auslaufen des Rechts wieder in Frage zu stellen. Das würde mit Blick auf viele rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zu einer eklatant ungleichen steuerrechtlichen Behandlung führen.

Die vom Bundesfinanzhof entwickelten Maßstäbe gelten für die Auslegung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG, nicht aber für die Einkünfte aus Kapitalvermögen nach Einführung der Abgeltungssteuer durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008[21] [22].

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24. April 2012 – IX B 154/10

  1. vgl. dazu Assmann in: Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.), WpHG, 6. Aufl., § 2 Rz 19; Verstegen in Kölner Kommentar zum WpHG, § 2 Rz 21; Fuchs, WpHG, § 2 Rz 25; s. auch Kumpan in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, 4. Aufl., WpHG § 2 Rz 29, der zutreffend Indexzertifikate als Schuldtitel einordnet[]
  2. z.B. Hagen/Remmel in BetriebsBerater BB- 2011, 2718 ff.; möglicherweise auch Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 76[]
  3. so BT-Drucks 14/443, S. 28 zu Nr. 31 § 23[]
  4. BMF, Schreiben vom 27.11.2001 – IV C 3 S 2256- 265/01, BStBl I 2001, 986, unter 5., Rz 45[]
  5. so BT-Drucks 14/443, S. 28, 29, wonach der bisherige Begriff des Differenzgeschäfts „durch den in § 2 WpHG … definierten Begriff des Termingeschäfts ersetzt wird“; vgl. zur Entstehungsgeschichte auch BFH, Urteil vom 17.04.2007 – IX R 40/06, BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608[]
  6. s. BGH, Urteile vom 13.07.2004 – XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58 ff.; und vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, NJW 2012, 66 ff., jeweils m.w.N.[]
  7. so BFH, Beschluss in BFH/NV 2010, 869[]
  8. vgl. eingehend dazu Roth in Kölner Kommentar zum WpHG, § 2 Rz 86, m.w.N.[]
  9. a.A. z.B. Hagen/Remmel, BB 2011, 2718 ff., m.w.N., die aber § 23 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für einschlägig halten[]
  10. s. dazu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 14/443, S. 29[]
  11. grundlegend BFH, Urteil in BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608, m.w.N.[]
  12. grundlegend BFH, Urteil vom 17.04.2007 – IX R 40/06, BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608; gl.A. BMF, Schreiben in BStBl I 2001, 986, Tz 18 und 23; vgl. dazu auch Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 74, m.w.N. auf das abweichende Schrifttum[]
  13. so zutreffend Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 175[]
  14. vgl. zu den Voraussetzungen vorab entstandener Werbungskosten die ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 – GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830[]
  15. BFH, Beschluss vom 16.12.2003 – IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.1.b, m.w.N.[]
  16. vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 16.06.2004 – X R 22/00, BFHE 206, 406, BStBl II 2005, 91[]
  17. vgl. zu deren Bedeutung bei vorab entstandenen Werbungskosten BFH, Urteil vom 11.01.2005 – IX R 15/03, BFHE 209, 77, BStBl II 2005, 477[]
  18. vgl. BFH, Urteile vom 01.06.2004 – IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, unter II.2.c bb (1), und vom 17.04.2007 – IX R 23/06, BFHE 217, 562, BStBl II 2007, 606, unter II.3.; so auch Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 175 a.E.[]
  19. BFH, Urteile vom 22.04.2008 – IX R 29/06, BFHE 221, 97, BStBl II 2009, 296; und vom 31.08.1994 – X R 66/92, BFH/NV 1995, 391[]
  20. BFH, Urteil vom 31.07.2002 – X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575; sowie BFH, Beschluss vom 25.06.1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751[]
  21. vom 14.08.2007, BGBl I 2007, 1912[]
  22. vgl. dazu aus dem Schrifttum z.B. Jachmann, Ermittlung von Vermögenseinkünften – Abgeltungssteuer, in Hey (Hrsg.), Einkünfteermittlung, DStJG 34 (2011), S. 251 ff., 269 ff., m.w.N.; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 20 Rz 129 ff., Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 20 Rz 131; Blümich/Stuhrmann, § 20 EStG Rz 367 ff., 370, m.w.N.; s. dazu auch Haisch/Helios, Rechtshandbuch Finanzinstrumente, 2011, S. 311 ff.; Strohm, Abgeltungssteuer, 2010, S. 61 ff.[]