Erstattung der Grunderwerbsteuer – und das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot

Der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG für einen vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erfüllung gemäß § 103 Abs. 2 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Erstattung der Grunderwerbsteuer – und das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.

Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren[1].

Das Finanzamt ist das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden.

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist.

Der nach dieser Regelung entstehende Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines bereits ergangenen Grunderwerbsteuerbescheids führt nach der Rechtsprechung des BFH nicht zum Erlöschen des einmal wirksam entstandenen ursprünglichen Steueranspruchs. Der Anspruch nach § 16 GrEStG ist vielmehr ein weiterer (gegenläufiger), eigenständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO), der selbständig neben den Steueranspruch tritt[2]. Es handelt sich nicht um einen Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO[3]. Dementsprechend lässt der Anspruch aus § 16 GrEStG die Rechtmäßigkeit der für den ursprünglichen Erwerbsvorgang vorgenommenen Besteuerung unberührt[4].

Damit gewährt § 16 Abs. 1 GrEStG -ebenso wie §§ 14c Abs. 2 und 17 Abs. 2 UStG[5]– einen eigenständigen Berichtigungsanspruch.

„Rückgängig gemacht“ i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt[6]. Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht materiell-rechtlich der Anspruch aus § 16 GrEStG[7].

Dementsprechend ist der Anspruch aus § 16 Abs. 1 GrEStG auch erst zu diesem Zeitpunkt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen.

Im Streitfall ist der Erwerb der mit Bauträgervertrag vom 28.12 2005 verkauften Miteigentumsanteile nach den Feststellungen des Finanzgericht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht worden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG sind damit -insoweit unstreitig- erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen. Dementsprechend ist auch der Anspruch aus § 16 GrEStG materiell-rechtlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden mit der Folge, dass das Finanzamt das hier streitige Guthaben aus der Grunderwerbsteuer erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist.

Soweit der Bundesfinanzhof in seinem Urteil in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589 von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hält er daran im Hinblick auf die oben dargestellte Rechtsprechung -insbesondere im Hinblick auf die geänderte Bundesfinanzhofsrechtsprechung zu § 17 Abs. 2 UStG[8] und zu § 14c Abs. 2 UStG[9]– nicht mehr fest.

Aus dem BFH, Urteil in BFH/NV 2016, 87 und dem BFH, Beschluss in BFH/NV 2014, 1088 lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten; denn auch nach diesen beiden Entscheidungen kommt es für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO darauf an, ob die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des jeweiligen Anspruchs vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Januar 2019 – VII R 23/17

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 12.06.2018 – VII R 19/16, BFHE 261, 463; und vom 08.11.2016 – VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 16.01.2002 – II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053, m.w.N.; BFH, Beschluss vom 09.09.2015 – II B 28/15, BFH/NV 2015, 1668; s.a. Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 19. Aufl., § 16 Rz 12 ff.; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 16 Rz 3[]
  3. BFH, Beschluss in BFH/NV 2015, 1668, Rz 7[]
  4. BFH, Urteil in BFH/NV 2002, 1053[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, m.w.N.[]
  6. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 05.09.2013 – II R 16/12, BFHE 242, 181, BStBl II 2014, 42; und vom 16.02.2005 – II R 53/03, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495[]
  7. vgl. auch Loose in Boruttau, a.a.O., § 16 Rz 53; Pahlke, a.a.O., § 16 Rz 134[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36[]
  9. BFH, Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496; BFH, Beschluss vom 25.04.2018 – VII R 18/16, BFH/NV 2018, 1289[]