Der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts erfolgt nicht aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben, wenn bei der übertragenden juristischen Person des öffentlichen Rechts zu keinem Zeitpunkt die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück zusammengefallen sind.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte ein Studierendenwerk mit Sitz in A in der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts geklagt. Diese Anstalt wurde durch die Vorläufige Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991 und das Studentenwerksgesetz vom 23.02.1993[1] -StudWG 1993- errichtet. Seither obliegt ihr die Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von Einrichtungen für das studentische Wohnen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 der Vorläufigen Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StudWG 1993, § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung des Studentenwerkes A vom 11.01.2001). Das Studentenwerk bewirtschaftet unter anderem ein Studierendenwohnheim in der XY Straße in A. Zur Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) stand das Grundstück im Eigentum des Volkes. Rechtsträger war der Rat der Stadt A. Seit dem Jahr 1971 wurde das Grundstück überwiegend als Studierendenwohnheim genutzt. Nachdem im Jahr 1991 zunächst die Stadt A als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen worden war, wurde das Grundstück im Jahr 2003 nach Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 Halbsatz 1 des Einigungsvertrags vom 31.08.1990[2] auf die Universität der Stadt A (Universität) übertragen. Diese bestellte im Jahr 2011 mit notarieller Urkunde ein Erbbaurecht zugunsten des Studentenwerks an dem Grundstück. Die Bestellung des Erbbaurechts erfolgte zum Zweck der Errichtung und des Betreibens von Studierendenwohnheimen und mit diesen im Zusammenhang stehenden Nebeneinrichtungen im Rahmen der gesetzlichen Aufgabe des Studentenwerks.
Wegen der Bestellung des Erbbaurechts setzte das Finanzamt Grunderwerbsteuer gegen das Studierendenwerk fest. Mit dem gegen den Grunderwerbsteuerbescheid gerichteten Einspruch machte das Studierendenwerk geltend, ihr Erwerb sei nach § 4 Nr. 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen. Den Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Im anschließenden Klageverfahren hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern das Studierendenwerk in zwei richterlichen Hinweisen aufgefordert, Unterlagen vorzulegen, die die Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims durch die Universität belegen. Nach Übersendung der Unterlagen hat das Studierendenwerk das Gericht um einen Hinweis gebeten, sollte es diesen Nachweis als nicht erbracht ansehen.
Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Klage des Studierendenwerks abgewiesen[3]. Die hiergegen gerichtete Revision des Studierendenwerks hat der Bundesfinanzhof als unbegründet zurückgewiesen; das Finanzgericht habe zutreffend entschieden, dass die Bestellung des Erbbaurechts zugunsten des Studierendenwerks ein steuerbarer Vorgang und nicht nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen sei. Das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern beruhe auch nicht auf Verfahrensverstößen:
Der notariell beurkundete Vertrag aus dem Jahr 2011 über die Bestellung eines Erbbaurechts zugunsten des Studierendenwerks ist ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG steuerbarer Vorgang. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG stehen Erbbaurechte den Grundstücken gleich, sodass auch deren Bestellung der Grunderwerbsteuer unterliegt[4].
Der Erwerb des Erbbaurechts durch das Studierendenwerk von der Universität ist nicht nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit. Die Bestellung des Erbbaurechts erfolgte nicht aus Anlass des Übergangs einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe von der Universität auf das Studierendenwerk.
Nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG ist von der Besteuerung der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts ausgenommen, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben von der einen auf die andere juristische Person des öffentlichen Rechts übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient. Die Vorschrift findet auch auf die erstmalige Bestellung eines Erbbaurechts Anwendung, da diese dem Erwerb eines Grundstücks gleichsteht.
Die Regelung begünstigt den Grundstückserwerb zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben. Nach ihrem Wortlaut und Sinn und Zweck soll sie den Wechsel des Trägers einer (öffentlich-rechtlichen) Aufgabe von der Belastung mit Grunderwerbsteuer freihalten, sofern mit diesem Trägerwechsel auch ein (rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher) Übergang des Eigentums an Grundstücken verbunden ist[5]. Die Regelung bezweckt hingegen nicht, eine Besteuerung der öffentlichen Hand generell zu begrenzen und den Steuerzugriff nur zur Sicherung der Wettbewerbsneutralität zuzulassen. Eine Steuerbefreiung gewährt § 4 Nr. 1 GrEStG vielmehr nur, wenn -neben weiteren Voraussetzungen- der Grundstückserwerb aus Anlass eines Aufgabenübergangs von der einen juristischen Person des öffentlichen Rechts auf die andere erfolgt.
Dieser Veranlassungszusammenhang fehlt jedenfalls dann, wenn die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts, die das Grundstück überträgt, zu keinem Zeitpunkt zusammengefallen sind. Das Tatbestandsmerkmal des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG „aus Anlass“ setzt voraus, dass sich die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Grundstückseigentum vor deren Übergang auf die andere juristische Person des öffentlichen Rechts einmal zeitgleich in der Hand der übertragenden juristischen Person des öffentlichen Rechts befunden haben. Eine Grundstücksübertragung kann nicht anlässlich eines Aufgabenübergangs im Sinne von § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG stattfinden, wenn die übertragende juristische Person des öffentlichen Rechts niemals zugleich Inhaberin der öffentlich-rechtlichen Aufgabe und der Eigentumsrechte an dem der Erfüllung dieser Aufgabe dienenden Grundstück gewesen ist.
Nach diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG bei der Bestellung des Erbbaurechts im Jahr 2011 nicht vorlagen. Die Universität hatte zu keinem Zeitpunkt zeitgleich das Eigentum an dem mit dem Studierendenwohnheim bebauten Grundstück und die öffentlich-rechtliche Aufgabe der Bewirtschaftung dieses Studierendenwohnheims inne. Das Studierendenwerk bewirtschaftet das Studierendenwohnheim seit ihrer Gründung durch die Vorläufige Satzung des Studentenwerkes vom 08.03.1991. Ob die Universität vor dem 08.03.1991 mit der Aufgabe der Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims betraut war, kann daher dahinstehen, da sie das Eigentum an dem streitgegenständlichen Grundstück erstmals im Jahr 2003 erworben hat. Die Erbbaurechtsbestellung im Jahr 2011 kann daher nicht aus Anlass der Aufgabenzuweisung an das Studierendenwerk im Sinne des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG erfolgt sein.
Unerheblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist danach die Frage, ob der Universität durch die vom Ministerrat der DDR erlassenen Vorschriften die Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von Einrichtungen für das studentische Wohnen zugewiesen worden ist. Selbst wenn dies -entgegen der Auslegung des Finanzgerichts, an die der Bundesfinanzhof nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist[6]– der Fall gewesen wäre, hat die Universität das Eigentum an dem Grundstück im Jahr 2003 erst zu einem Zeitpunkt erlangt, zu dem die Aufgabe der Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims bereits -seit dem Jahr 1991- beim Studierendenwerk lag.
Schließlich führen auch die vom Studierendenwerk geltend gemachten Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO sowie der Verletzung der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO nicht zum Erfolg der Revision, da diese -selbst wenn sie vorliegen würden- für die Entscheidung des Finanzgerichts nicht entscheidungserheblich waren.
Zwar hat das Finanzgericht das Studierendenwerk mit seinen beiden richterlichen Hinweisen aufgefordert, Nachweise zu der Frage vorzulegen, ob die Universität für die Bewirtschaftung der Studierendenwohnheime zuständig war. Diesbezüglich hatte das Studierendenwerk um einen Hinweis gebeten, ob die von ihr vorgelegten Unterlagen zum Nachweis ausreichen. Das Finanzgericht hat seine Entscheidung -ohne eine weitere Sachaufklärung durchzuführen oder einen Hinweis an das Studierendenwerk zu erteilen- jedoch nicht allein darauf gestützt, dass nach seiner Auffassung die vom Studierendenwerk vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, um nachzuweisen, dass das Grundstück der Universität bereits zu DDR-Zeiten zur eigenen Verwaltung und eigenen Aufgabenerfüllung diente. Es hat seine Entscheidung vielmehr auch damit begründet, dass es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Aufgabenübertragung und der Übertragung des für die Aufgabenerfüllung notwendigen Grundstücks nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG bereits deshalb fehle, weil bei der Universität zu keinem Zeitpunkt Aufgabenerfüllung und Rechtsträgerschaft an dem Grundstück zusammengefallen seien.
Bei einer kumulativen Begründung mit selbständig tragenden Begründungssträngen ist das Urteil des Finanzgerichts nur aufzuheben, wenn sich der Verfahrensfehler auf jeden der tragenden Begründungsstränge auswirkt oder sich beide Begründungsstränge aus verschiedenen Gründen als verfahrens- oder rechtsfehlerhaft darstellen[7]. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Begründung des Finanzgerichts, die Bestellung des Erbbaurechts zugunsten des Studierendenwerks sei jedenfalls nicht aus Anlass eines Aufgabenübergangs im Sinne des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG erfolgt, da die Aufgabenerfüllung hinsichtlich des Betriebs eines Studierendenwohnheims und die Rechtsträgerschaft an dem Grundstück bei der Universität niemals zeitgleich zusammengefallen seien, trägt die Entscheidung des Finanzgerichts selbständig. Die geltend gemachten Verfahrensverstöße wirken sich somit nicht auf diesen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Begründungsstrang aus.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Februar 2024 – II R 45/21
- Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Mecklenburg-Vorpommern 1993, 165[↩]
- BGBl II 1990, 889[↩]
- FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 25.08.2021 – 3 K 435/17, EFG 2022, 851[↩]
- BFH, Urteil vom 28.11.1967 – II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223, unter II. 1.d[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 17.05.1989 – II R 98/86, BFH/NV 1990, 263, unter II.; und vom 01.09.2011 – II R 16/10, BFHE 235, 182, BStBl II 2012, 148, Rz 12[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 04.07.1996 – VII R 32/95, BFH/NV 1997, 317, unter II. 2.d; und vom 21.08.1996 – I R 85/95, BFHE 181, 437, BStBl II 1997, 194, unter II. 2.a[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 30.11.2016 – VIII R 41/14, BFH/NV 2017, 1180, Rz 19, m.w.N.[↩]