Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik – als außergewöhnliche Belastung

Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen -aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen- Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden. Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.

Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können mithin als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.

Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall lag bei dem Partner der Schwangeren eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Schwangere, die den Abzug der entsprechenden Kosten als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG beantragte. Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab.

Das Niedersächsische Finanzgericht gab der Klage hinsichtlich der von der Schwangeren selbst getragenen Aufwendungen statt[1]. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Vorentscheidung und wies die Revision des Finanzamtes als unbegründet zurück:

Die Aufwendungen für die Behandlung der Schwangeren seien zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge habe anders als bei anderen Erkrankungen durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten können. Daher stehe der Umstand, dass die Schwangere selbst gesund sei, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen. Unschädlich war auch, dass die Schwangere und ihr Partner nicht verheiratet waren. Schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften -insbesondere dem Embryonenschutzgesetz- erfüllt.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten und damit Kosten, die einem objektiv (anomalen) regelwidrigen Körperzustand geschuldet sind, ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen[2]. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen[3].

 Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert wird[4]. Dementsprechend erkennt der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird[5].

Voraussetzung ist weiter, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden. Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verstößt[6].

Nach diesen Grundsätzen ist das Finanzgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Schwangeren selbst getragenen Aufwendungen für die künstliche Befruchtung unter Verwendung homologen Samens als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind.

Bei der im Streitfall vorliegenden chromosomalen Translokation des Partners der Schwangeren mit der wahrscheinlichen Folge schwerster Schädigungen für ein ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen gezeugtes Kind handelt es sich um einen objektiv regelwidrigen Körperzustand und mithin um eine Krankheit im Sinne der angeführten Rechtsgrundsätze. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig.

Die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen der PID in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Schwangeren waren medizinisch auch indiziert, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Denn die durch die chromosomale Translokation des Partners der Schwangeren entstehende Gefährdung des Kindes bei natürlicher Befruchtung konnte durch eine PID einschließlich nachfolgender künstlicher Befruchtung umgangen werden. Unerheblich ist, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt ist, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohnt gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden ist. Von der Linderung einer Krankheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn die ärztliche Tätigkeit auf die Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen gerichtet ist[7].

Da die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Schwangeren auszugleichen, sind ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der -unstreitig gesunden- Schwangeren vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Denn wegen der biologischen Zusammenhänge konnte -anders als bei anderen Erkrankungen- durch eine medizinische Behandlung allein des Partners der Schwangeren keine Linderung der Krankheit eintreten[8]. Entsprechend steht es der Zwangsläufigkeit der an der Schwangeren vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen nicht entgegen, dass hierfür ein anomaler Zustand aufseiten ihres Partners ursächlich war.

Der Abziehbarkeit steht zudem nicht entgegen, dass die Schwangere und ihr Partner nicht verheiratet waren. Denn in Fällen künstlicher Befruchtung können grundsätzlich auch Behandlungsmaßnahmen von nicht verheirateten Partnern als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein[9]. Dies gilt auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht erkrankten Partner vorzunehmen sind, soweit diese aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer Krankheit erforderlich sind.

Der Abzug der von der Schwangeren selbst getragenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen steht auch mit den Richtlinien der von der zuständigen Landesärztekammer erlassenen Berufsordnung in Einklang. Denn die Richtlinie zur assistierten Reproduktion gemäß § 13 Abs. 3 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte sieht insoweit keine Einschränkung vor.

Der Zwangsläufigkeit der im Streitfall angefallenen Aufwendungen stehen weiter auch gesetzliche Vorschriften nicht entgegen. Denn die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer hat die erforderliche Zustimmung erteilt.

Gemäß § 3a Abs. 1 ESchG ist die genetische Untersuchung eines außerhalb des Körpers erzeugten Embryos grundsätzlich unzulässig. Nach § 3a Abs. 2 ESchG gilt dies unter anderem dann nicht, wenn aufgrund der genetischen Disposition des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht, oder die Frau, von der die Eizelle stammt, der Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird, zustimmt. Zusätzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit der PID ist, dass eine vorherige Aufklärung und Beratung zu den medizinischen, psychischen und sozialen Folgen der gewünschten genetischen Untersuchung stattfindet (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ESchG), die zuständige Ethikkommission die Einhaltung der genannten Voraussetzungen geprüft und zugestimmt hat (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ESchG), sowie die Untersuchung durch einen qualifizierten Arzt in für die PID zugelassenen Zentren vorgenommen wird (§ 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ESchG).

Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden diese Vorschriften eingehalten. Es bestand aufgrund der beim Partner der Schwangeren vorliegenden genetischen Veränderung das hohe Risiko einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos. Nach vorheriger Beratung haben die Schwangere und ihr Partner die Zustimmung der zuständigen PID-Kommission zur Durchführung der Diagnostik eingeholt (vgl. § 3a ESchG i.V.m. § 4 der Präimplantationsdiagnostikverordnung vom 21.02.2013, BGBl I 2013, 323 i.V.m. § 5 des Präimplantationsdiagnostikgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 04.07.2014).

Entgegen der Auffassung des Finanzamtes steht dem Abzug der Aufwendungen für die an der Schwangeren vorgenommenen und von ihr selbst getragenen Behandlungsmaßnahmen schließlich auch nicht der Grundsatz der Individualbesteuerung entgegen. Danach ist die Einkommensteuer eine Personensteuer, die die im Einkommen zutage tretende Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person der Besteuerung zugrunde legt und damit die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sicherstellt[10]. Entsprechend ist grundsätzlich die einzelne natürliche Person Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte (§ 2 Abs. 1 EStG)[11].

Im Streitfall hatte die Schwangere aufgrund der notwendigerweise an ihrem Körper durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen die ihr in Rechnung gestellten Aufwendungen zu tragen. Indem das Finanzgericht die der Schwangeren entstandenen und von ihr getragenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte, hat es mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung verstoßen, sondern der geminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Schwangeren Rechnung getragen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. Februar 2024 – VI R 2/22

  1. Nds. FG, Urteil vom 14. 12.2021 – 6 K 20/21[]
  2. BFH, Urteil vom 10.08.2023 – VI R 29/21, BFHE 281, 70, BStBl II 2023, 1110, Rz 12[]
  3. BFH, Urteile vom 02.09.2010 – VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119, Rz 12; und vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BFHE 244, 285, BStBl II 2014, 456, Rz 13[]
  4. BFH, Urteil vom 16.12.2010 – VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414, Rz 13[]
  5. zuletzt BFH, Urteil vom 25.01.2022 – VI R 34/19, Rz 19[]
  6. BFH, Urteil vom 25.01.2022 – VI R 34/19, Rz 20, m.w.N.[]
  7. BFH, Urteil vom 16.12.2010 – VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414, Rz 18[]
  8. vgl. bereits BFH, Urteil vom 16.12.2010 – VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414, Rz 18[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 05.10.2017 – VI R 2/17, Rz 23[]
  10. s. BFH, Beschluss vom 18.04.2018 – I R 2/16, BFHE 261, 298, BStBl II 2018, 567, Rz 19[]
  11. BFH, Beschluss vom 17.12.2007 – GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608[]