Die dritte Anschlussprüfung

Die von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierte Frage, ob bei einem Freiberufler eine dritte Anschlussprüfung zulässig ist, ist nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu bejahen. Die Beantwortung der Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; sie ist daher nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig.

Die dritte Anschlussprüfung

Nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung u.a. bei Steuerpflichtigen zulässig, die -wie im Streitfall der Freiberufler- freiberuflich tätig sind. Höchstrichterlich geklärt ist in diesem Zusammenhang u.a., dass § 193 Abs. 1 AO keine weiteren Anforderungen enthält; es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung. Im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO sind daher Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig. Weder der AO noch der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) vom 15.03.2000[1] ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen[2]. Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe[3] sowie Klein- und Kleinstbetriebe[4].

Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig. Weder die AO noch die BpO 2000 schließen weitere Anschlussprüfungen aus[5].

Von der von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierten Frage der Zulässigkeit einer dritten Anschlussprüfung zu unterscheiden ist hingegen die Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer solchen dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, sie ist daher nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig[6].

Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszweckes (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat[7]. Die Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer zweiten oder auch dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu überprüfen und deshalb nicht im Allgemeininteresse klärungsfähig[8]. Daher lassen sich für den Erlass einer Prüfungsanordnung auch keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln[9]. Gleiches gilt für die Frage, ob das Finanzamt die Ausübung des Auswahlermessens im Streitfall konkreter hätte begründen müssen bzw. ob aufgrund der lückenlosen Anordnung von Anschlussprüfungen nach den Umständen des Streitfalls eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt[10].

Nach den dargelegten Grundsätzen bedarf die vom Freiberufler als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, „welche Maßstäbe für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und die Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots gelten“, keiner weiteren Klärung durch den Bundesfinanzhof. Für den Erlass einer Prüfungsanordnung lassen sich keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln[11].

Die Frage, ob die Finanzbehörde bei der Anordnung einer dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist ebenfalls jeweils nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei kann zwar auch der Größenklasse des geprüften Betriebes Bedeutung zukommen[12]. Allerdings ist auch eine aus Sicht des Finanzamts bestehende Prüfungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. 

Auch die Frage, „ob nach dem Normzweck des § 193 Abs. 1 AO das einzig sachgerechte Ermessensrichtmaß die Prüfungsbedürftigkeit sein darf (§ 102 FGO)“, kann keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowie dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen der §§ 193 ff. AO und der BpO 2000 ist jenseits der Routine- und Zufallsprüfungen die Prüfungsbedürftigkeit das ausschlaggebende Kriterium für eine anlassbezogene Prüfung des Steuerpflichtigen. Ob im konkreten Streitfall eine hinreichende Prüfungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gegeben ist, kann nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.

Schließlich kommt auch der Frage, „ob eine Prüfungsanordnung bereits aufgrund des ungleichen, willkürlichen Gesetzesvollzugs nichtig ist“, keine grundsätzliche Bedeutung zu[13]. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall das Finanzgericht Köln[14] -wie schon das Finanzamt- im Streitfall eine konkrete Prüfungsbedürftigkeit des Freiberuflers bejaht hat, weil sich aus den Vorprüfungen eine ganze Reihe von Fragen und Unklarheiten mit ganz erheblichen steuerlichen Auswirkungen ergeben hatten.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15. Oktober 2021 – VIII B 130/20

  1. BStBl I 2000, 368[]
  2. z.B. BFH, Urteil vom 15.06.2016 – III R 8/15, BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, m.w.N.[]
  3. s. hierzu BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25[]
  4. z.B. BFH, Beschlüsse vom 16.02.2011 – VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748; vom 14.03.2006 – IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253; und vom 14.07.2014 – III B 8/14, BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.; vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 194 Rz 30, m.w.N.[]
  5. vgl. jeweils zur zweiten Anschlussprüfung BFH, Beschluss vom 09.11.2010 – VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297; BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25[]
  6. vgl. z.B. BFH, Beschluss in BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.[]
  7. z.B. BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, m.w.N.[]
  8. z.B. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 297, zur zweiten Anschlussprüfung[]
  9. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 748[]
  10. vgl. BFH, Beschluss vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385[]
  11. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 748[]
  12. vgl. BFH, Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 251/09, BFH/NV 2012, 443[]
  13. vgl. BFH, Beschluss vom 14.01.2020 – XI B 52/19, nicht veröffentlicht[]
  14. FG Köln, Urteil vom 09.10.2020 – 3 K 2390/18[]