Bei börsennotierten verzinslichen Wertpapieren ohne feste Laufzeit, die von den Gläubigern nicht gekündigt werden können, liegt eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vor, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Anschaffungskosten bei Erwerb überschreitet.

Eine GmbH ermittelt ihren Gewinn nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG beziehungsweise ihren Gewerbeertrag gemäß § 7 Satz 1 GewStG i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG. Sie muss dabei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für den Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist und die Bewertung jenes Betriebsvermögens nach § 6 EStG vornehmen[1].
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind die nicht in § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter -unter anderem Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens- grundsätzlich mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Jedoch kann an Stelle jener Werte der Teilwert angesetzt werden, wenn er aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Dies gilt auch für Umlaufvermögen[2].
Teilwert ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt. Der Begriff der „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ ist weder im Handelsgesetzbuch noch im Steuerrecht definiert. Er bezeichnet im Grundsatz eine Minderung des Teilwerts, die einerseits nicht endgültig sein muss, andererseits aber nicht nur vorübergehend sein darf[3].
Die vorzunehmende Prognoseentscheidung über Umfang und Dauer der Wertminderung beziehungsweise -erhöhung als Teil der Ermittlung des Teilwerts ist eine Schätzung nach § 162 AO, die zu den Tatsachenfeststellungen des Finanzgerichts im Sinne von § 118 Abs. 2 FGO gehört und daher revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie dem Grunde nach zulässig war, in verfahrensfehlerfreier Weise zustande gekommen ist und nicht gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt[4]. Die Feststellungs- und Beweislast trägt der Steuerpflichtige, wobei wegen des Wertaufholungsgebots die Anforderungen an die Darlegungen des Steuerpflichtigen nicht überspannt werden dürfen[5].
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs fehlt es bei festverzinslichen Wertpapieren in der Regel an einer „voraussichtlich dauernden“ Wertminderung, soweit die Kurswerte der Papiere unter den Nominalwert abgesunken sind[6]. Gleiches könnte nach der Rechtsprechung des I. Bundesfinanzhofs des Bundesfinanzhofs für unverzinsliche Geldforderungen aufgrund ihrer Unverzinslichkeit gelten[7].
Die maßgebliche Begründung für diese Rechtsprechung ist, dass verzinsliche Wertpapiere regelmäßig eine Forderung in Höhe ihres Nominalwerts verbriefen. Der Inhaber eines solchen Papiers habe das gesicherte Recht, am Ende der Laufzeit diesen Nominalwert zu erhalten. Diese Sicherheit habe er zu jedem Bilanzstichtag, und zwar unabhängig davon, ob zwischenzeitlich infolge bestimmter Marktgegebenheiten der Kurswert des Papiers unter dessen Nominalwert liegt[8]. Auch wenn der aktuelle Wert zu einem Bilanzstichtag, der vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegt, gemindert sei, steige er in der Folgezeit zwangsläufig sukzessive an und erreiche im Fälligkeitszeitpunkt (wieder) den Nominalbetrag der Forderung beziehungsweise Nominalwert[9]. Da weder eine vorzeitige Veräußerung noch das Zuwarten des Gläubigers bis zur Endfälligkeit vorausgesehen werden könne, liege die vom Gesetz geforderte voraussichtliche Dauerhaftigkeit der Wertminderung nicht vor[10]. Ob etwas anderes gilt, wenn der Steuerpflichtige zum Bilanzstichtag die Absicht hat, die in Frage stehenden Wertpapiere zu veräußern, hat der Bundesfinanzhof dabei offengelassen[11].
Die Dauerhaftigkeit der Wertminderung wird nach dieser Rechtsprechung nur dann ausgeschlossen, wenn feststeht, dass die Wertminderung keinen Bestand haben wird und nicht schon dann, wenn nur die Möglichkeit einer vollständigen Wertaufholung besteht[12]. Ein Absinken des Kurswerts unter den Nominalwert erweist sich nur dann als nur vorübergehend und nicht dauerhaft, wenn sich darin nicht ein „Risiko hinsichtlich der Rückzahlung“ widerspiegelt[13].
Ein „Risiko hinsichtlich der Rückzahlung“ besteht indes für den Gläubiger einer Anleihe ohne feste Laufzeit auch, solange nicht feststeht, ob es zu einer Rückzahlung durch die Emittentin kommen wird, weil die dafür erforderliche Kündigung im Belieben der Emittentin (und gegebenenfalls einer aufsichtsrechtlichen Zustimmung) steht und dies den Marktteilnehmern aufgrund der veröffentlichten Anleihebedingungen oder Ähnlichem bekannt ist.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg[14] hat angenommen, dass bei einer Anleihe, die nur von der Emittentin gekündigt werden kann und die über keine feste Laufzeit verfügt, ein Kursrückgang regelmäßig zu einer dauerhaften Wertminderung führe, es sei denn, eine Kündigung durch die Emittentin sei absehbar[15]. Während der Inhaber eines endfälligen Wertpapiers, das bei Laufzeitende zu 100 % zurückzuzahlen ist, bei gesunkenem Börsenkurs lediglich das Ende der Laufzeit abwarten müsse, um den Nominalwert zurückgezahlt zu bekommen (und der Kurs entsprechender Wertpapiere, die sich ihrer Endfälligkeit nähern, sich immer mehr an den Nominalwert annähere), trete dieser Effekt im Streitfall mangels Endfälligkeit und mangels Kündigungsmöglichkeit des Inhabers nicht ein. Durch bloßes Zuwarten könne die Annäherung des Werts an den Nominalbetrag nicht erreicht werden. Habe die Emittentin fortdauernden Kapitalbedarf und seien die Zinsbedingungen der Anleihe für die Emittentin günstig oder zumindest marktgemäß, werde die Emittentin die Anleihe nicht kündigen, auch nicht nach sehr langer Zeit. Durch den variablen Zinssatz auf Basis des Euribor werde der Zinssatz marktgemäß bleiben. Eine Kündigung sei zu den Bilanzstichtagen nicht absehbar gewesen.
Diese Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg ist für den Bundesfinanzhof revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese tatsächliche Würdigung des Finanzgerichts geht von den zutreffenden, oben genannten Rechtsgrundsätzen aus; sie ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bindet daher gemäß den obigen Ausführungen den Bundesfinanzhof (§ 118 Abs. 2 FGO).
Die Einwendungen des Finanzamtes und des Bundesfinanzministeriums führen zu keiner anderen Beurteilung. Die Hinweise der Prüferin und des Finanzamtes auf die gute Bonität der Emittentin sowie des Bundesfinanzministeriums auf die Möglichkeit langer Laufzeiten verhelfen der Revision nicht zum Erfolg, weil trotz der guten Bonität am Bilanzstichtag nicht feststand, dass die Wertminderung keinen Bestand haben werde, was nach denobigen Ausführungenerforderlich wäre. Hat eine Anleihe keine feste Laufzeit und kann der Gläubiger sie nicht kündigen, besteht für den Inhaber eines solchen Papiers nicht zu jedem Bilanzstichtag die Sicherheit, dass er am Ende der Laufzeit den Nominalwert erhalten werde; denn das Ende der Laufzeit war zum Bilanzstichtag ebenso ungewiss wie die Rückzahlung der Anleihe an sich. Da kein (bestimmter) Fälligkeitszeitpunkt existiert, steigt der Kurswert auch nicht zwangsläufig sukzessive an, bis er im Fälligkeitszeitpunkt (wieder) den Nominalbetrag der Forderung beziehungsweise den Nominalwert erreicht, wie dies bei einer festen Laufzeit der Fall ist[9]. Dies führt gemäß denobigen Ausführungenzur Nichtanwendung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu festverzinslichen Wertpapieren und unterscheidet den Streitfall von den vom BMF gebildeten Vergleichsfällen mit sehr langen Laufzeiten.
Aus demselben Grund greift auch der Einwand nicht durch, wirtschaftlich gesehen liege keine unendliche Laufzeit, sondern eine Kapitalüberlassung auf unbestimmte Zeit vor, und aus Sicht der Emittentin handele es sich um Fremdkapital. Selbst wenn dies zuträfe, verschaffte dies der Anlegerin zum Bilanzstichtag nicht die Gewissheit, dass die Emittentin die Anleihen kündigen, der Kündigung aufsichtsrechtlich zugestimmt und die Anleihe danach zurückgezahlt wird.
Die Feststellungs- und Beweislast der Anlegerin gebietet aus demselben Grund keine andere Beurteilung. Eine Abweichung von der allgemeinen Regel, dass der Börsenkurs nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Auffassungen der Marktteilnehmer über den Wert widerspiegelt, dass der Kurs „voraussichtlich“ dauerhaften Charakter besitzt, dass der Steuerpflichtige sich daher grundsätzlich auf die Einschätzung des Marktes berufen und diese seiner Bilanz zugrunde legen darf[16], ist nur dann gerechtfertigt, wenn feststeht, dass die Wertminderung keinen Bestand haben wird. Dies ist nicht der Fall, solange ungewiss ist, ob es jemals zu einer Rückzahlung (zum Nominalwert) kommen wird. Die vom Bundesministerium der Finanzen betonte (und auch vom Bundesfinanzhof gesehene) Möglichkeit einer vollständigen Wertaufholung wegen der Möglichkeit der Kündigung, zu der es im Jahr 2021 tatsächlich gekommen ist, reicht daher für eine typisierende Einschränkung der allgemeinen Grundsätze zur voraussichtlich dauernden Wertminderung börsennotierter Wertpapiere nicht aus.
Der Hinweis des Bundesfinanzministeriums auf die im hier entschiedenen Streitfall im Jahr 2021 erfolgte Kündigung führt in Bezug auf das Streitjahr zu keinem anderen Ergebnis, weil es sich dabei nicht um eine wertaufhellende Tatsache handelt, sondern um einen später eingetretenen Umstand[17].
Die zutreffende Besteuerung der Anlegerin gemäß ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zum jeweiligen Bilanzstichtag wird in den Folgejahren durch das Wertaufholungsgebot gesichert[18].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. August 2023 – XI R 36/20
- vgl. BFH, Urteil vom 21.04.2021 – XI R 42/20, BFHE 273, 149, BStBl II 2022, 20, Rz 17, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 13.02.2019 – XI R 41/17, BFHE 263, 337, BStBl II 2021, 717, Rz 17[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 02.07.2021 – XI R 29/18, BFHE 274, 8, BStBl II 2022, 205, Rz 22, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 21.04.2021 – XI R 42/20, BFHE 273, 149, BStBl II 2022, 20, Rz 21; vom 10.06.2021 – IV R 18/18, BFHE 273, 495, BStBl II 2022, 211, Rz 32; vom 10.06.2021 – IV R 2/19, BFH/NV 2021, 1483, Rz 27[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 02.07.2021 – XI R 29/18, BFHE 274, 8, BStBl II 2022, 205, Rz 22 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 08.06.2011 – I R 98/10, BFHE 234, 137, BStBl II 2012, 716, Rz 13 ff. zu Umlaufvermögen; vom 18.04.2018 – I R 37/16, BFHE 261, 166, BStBl II 2019, 73, Rz 12 ff.; vom 13.02.2019 – XI R 41/17, BFHE 263, 337, BStBl II 2021, 717, Rz 32; s.a. BFH, Beschluss vom 08.02.2012 – IV B 13/11, BFH/NV 2012, 963, Rz 4[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.10.2012 – I R 43/11, BFHE 239, 275, BStBl II 2013, 162; s. aber auch BFH, Urteil vom 28.11.2018 – I R 56/16, BFHE 263, 401, BStBl II 2020, 104, Rz 12 f., m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.02.2019 – XI R 41/17, BFHE 263, 337, BStBl II 2021, 717, Rz 32[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.10.2012 – I R 43/11, BFHE 239, 275, BStBl II 2013, 162, Rz 16[↩][↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 08.06.2011 – I R 98/10, BFHE 234, 137, BStBl II 2012, 716, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 18.04.2018 – I R 37/16, BFHE 261, 166, BStBl II 2019, 73, Rz 15[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.10.2012 – I R 43/11, BFHE 239, 275, BStBl II 2013, 162, Rz 17[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 08.06.2011 – I R 98/10, BFHE 234, 137, BStBl II 2012, 716, Rz 14; vom 18.04.2018 – I R 37/16, BFHE 261, 166, BStBl II 2019, 73, Rz 14; s.a. zu Bonitätsrisiken BFH, Urteil vom 02.12.2015 – I R 83/13, BFHE 253, 104, BStBl II 2016, 831, Rz 16, m.w.N. sowie zu Wertpapierdarlehen BFH, Urteil vom 29.09.2021 – I R 40/17, BFHE 274, 463, BStBl II 2023, 127, Rz 44 f.[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2020 – 10 K 10021/17, EFG 2021, 189[↩]
- gl.A. Korn, Kölner Steuerdialog 2022, 22615; Lüdenbach, Steuern und Bilanzen 2021, 746; Mihm, Betriebs-Berater 2021, 946; BeckOK EStG/Oellerich, 17. Ed. [01.10.2023], EStG § 6 Rz 1321a; BeckOGK BilanzR/Schlotter/Diffring, HGB, § 253 Rz 289; Leingärtner/Wendt, Besteuerung der Landwirte, Kap. 29a Rz 74; a.A. Schmidt/Kulosa, EStG, 42. Aufl., § 6 Rz 371[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 13.02.2019 – XI R 41/17, BFHE 263, 337, BStBl II 2021, 717, Rz 37[↩]
- vgl. zu dieser Abgrenzung BFH, Urteil vom 02.07.2021 – XI R 29/18, BFHE 274, 8, BStBl II 2022, 205, Rz 30[↩]
- vgl. allgemein BFH, Urteile vom 10.06.2021 – IV R 2/19, BFH/NV 2021, 1483, Rz 37; vom 02.07.2021 – XI R 29/18, BFHE 274, 8, BStBl II 2022, 205, Rz 23; vom 21.09.2016 – X R 58/14, BFH/NV 2017, 275, Rz 62[↩]

