Beiladung – zur späteren Inanspruchnahme

Auch wenn das Finanzamt den Antrag auf Beiladung ausdrücklich auf § 60 Abs. 1 FGO gestützt hat, kann er auf eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zielen, um die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme der Beizuladenden zu sichern.

Beiladung – zur späteren Inanspruchnahme

§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 FGO erfüllt sind. Erforderlich ist lediglich, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind[1]. Denn die Möglichkeit zur Korrektur von Steuerbescheiden wegen irriger Beurteilung von bestimmten Sachverhalten besteht nicht nur gegenüber dem Steuerpflichtigen, aufgrund dessen Antrag der ursprünglich ergangene Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird, sondern gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO auch gegenüber Dritten. Um dies zu gewährleisten, kann das Finanzamt die Beiladung dieses Dritten in dem gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid angestrengten Klageverfahren beantragen.

Die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO sind erfüllt. Das Finanzamt hat einen Antrag auf Beiladung der im Rubrum unter Nr. 1 bis Nr. 6 genannten Gesellschaften gestellt. Auch wenn das Finanzamt den auf den bereits anhängigen Rechtsstreit bezogenen Antrag auf Beiladung ausdrücklich auf § 60 Abs. 1 FGO gestützt hat, zielte er auf eine Beiladung der Gesellschaften nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO, um die Möglichkeit ihrer späteren Inanspruchnahme für den Fall zu sichern, dass die Klage Erfolg hätte. Insoweit kommt es auf die Bezeichnung der Rechtsgrundlage nicht an; die Beigeladenen haben die Stellung von Beteiligten i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 AO -und nicht von einfach Beigeladenen i.S. von § 60 Abs. 1 FGO-[2].

Im hier entschiedenen Fall hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg erstinstanzlich zu Recht darauf hingewiesen, dass gegen die Beigeladenen Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2011 zu erlassen seien[3]. Damit hat es die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO bejaht. Denn wenn in einem Verfahren geltend gemacht wird, die streitigen Umsätze seien von einer anderen Person erzielt worden, handelt es sich um eine Situation des § 174 Abs. 5 AO[4]. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, dass bei der Beigeladenen zu Nr. 1 eine Zurechnung der Umsätze im Jahr 2009 und 2010 von vornherein nicht in Betracht komme, betrifft dieser Vortrag die materiellen Voraussetzungen für einen Steuerbescheid gegen die Beigeladene, die erst bei Erlass dieses Bescheides gegen die Beigeladene zu berücksichtigen ist[5].

Das Finanzamt vertritt in diesem Zusammenhang zu Recht die Auffassung, dass im Streitfall ein denkbarer Ablauf der Festsetzungsfrist bei den Umsatzsteuerfestsetzungen der Beigeladenen gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 174 Abs. 5 Satz 1 AO unbeachtlich wäre, da die Festsetzungsfrist der Beschwerdeführerin durch das anhängige Klageverfahren noch gehemmt ist (§ 171 Abs. 3a AO). Ebenso erfolgte die Beiladung vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den gegen die Beigeladenen gerichteten Steueranspruch[6].

Dass das Finanzgericht außerdem unter Hinweis auf § 60 Abs. 1 FGO ausgeführt hat, die rechtlichen Interessen der Beigeladenen seien berührt, berührt die Rechtmäßigkeit der Beiladung nicht[5].

, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – XI B 5/21

  1. vgl. BFH, Beschlüsse vom 19.05.1981 – VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633; vom 25.08.1987 – IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344; vom 17.10.1985 – IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479; vom 29.11.2000 – I B 64/00, BFH/NV 2001, 573; vom 14.12.2004 – I B 137/04, BFH/NV 2005, 835; vom 22.09.2016 – X B 42/16, BFH/NV 2017, 146[]
  2. vgl. allgemein BFH, Beschlüsse in BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344, unter 1.c; vom 12.10.1993 – IV B 123/91, BFH/NV 1994, 681, vor 1. der Entscheidungsgründe; vom 17.05.1994 – IV B 84/93, BFH/NV 1995, 87, unter 2. der Entscheidungsgründe[]
  3. FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.11.2020 – 7 K 7096/15[]
  4. vgl. BFH, Beschlüsse vom 01.07.1993 – V B 41/93, BFH/NV 1994, 297; vom 13.03.1997 – III R 300/94, BFH/NV 1997, 659; vom 11.01.2018 – X R 21/17, BFH/NV 2018, 529; Brandis in Tipke/Kruse, § 60 FGO Rz 59[]
  5. vgl. allgemein BFH, Beschluss in BFH/NV 1995, 87, unter 2. der Entscheidungsgründe[][]
  6. vgl. allgemein BFH, Urteil vom 13.04.2000 – V R 25/99, BFH/NV 2001, 137[]