Verlustfeststellung – und die Steuerfestsetzung

Sind der Körperschaftsteuerbescheid und der Gewerbesteuermessbescheid des Verlustentstehungsjahres bestandskräftig (geworden) und berücksichtigen diese einen geringeren Verlust als vom Steuerpflichtigen begehrt, ist die Änderung eines Bescheides über den verbleibenden Verlustvortrag und des vortragsfähigen Gewerbeverlusts nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG nur zulässig, soweit eine Korrektur der Steuerbescheide nach den Vorschriften der AO hinsichtlich der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte (noch) möglich ist und diese der Steuerfestsetzung tatsächlich zugrunde gelegt worden sind.

Verlustfeststellung – und die Steuerfestsetzung

Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG (§ 10d EStG gilt über § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 7 Satz 1 GewStG auch für die Körperschaftsteuer bzw. Gewerbesteuer) ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogenen und die nach § 10d Abs. 2 EStG abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 Satz 2 EStG). Bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags sind die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag festgestellt wird, und des Veranlagungszeitraums, in dem ein Verlustrücktrag vorgenommen werden kann, zugrunde gelegt worden sind; § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 351 Abs. 2 AO sowie § 42 FGO gelten entsprechend (§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010; § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 2010). Nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010 (§ 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG i.d.F. des JStG 2010) dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung des gesonderten Verlustvortrags nur insoweit abweichend berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt.

Mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG i.d.F. des JStG 2010 wird eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheides an den Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheid erreicht, obwohl der Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheid kein Grundlagenbescheid für den Verlustfeststellungsbescheid ist. Die Besteuerungsgrundlagen sind im Feststellungsverfahren so zu berücksichtigen, wie sie der letzten bestandskräftigen Festsetzung im Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheid zugrunde liegen. Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln sind[1]. Wird der Steuerbescheid bestandskräftig und berücksichtigt er keinen Verlust, kommt eine Verlustfeststellung nur noch in Betracht, wenn und soweit der Steuerbescheid des Verlustentstehungsjahres nach den Vorschriften der AO änderbar ist; nichts anderes gilt für die Änderung einer Verlustfeststellung, wenn der bestandskräftige Steuerbescheid zwar einen Verlust berücksichtigt, der Steuerpflichtige jedoch einen höheren Verlust begehrt[2].

Der erstmalige Erlass wie auch die Änderung eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrag sind danach von der Reichweite der verfahrensrechtlichen Änderungsmöglichkeit der Steuerfestsetzung -d.h. gemäß §§ 164 f., §§ 172 ff. AO- im Verlustentstehungsjahr abhängig[2]. Der Antrag auf Verlustfeststellung bzw. auf Änderung derselben ist dann im Wege rechtsschutzgewährender Auslegung als Antrag auf Änderung des Steuer(mess)bescheids auszulegen[3].

Für den hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall folgt daraus, dass eine Änderung der Verlustfeststellungsbescheide der Unternehmerin nicht in Betracht kommt. Die gegen die Unternehmerin ergangenen Bescheide vom 06.11.2013 für 2011 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag berücksichtigen nicht den geltend gemachten Verlust und können nicht mehr geändert werden. Gegen die betreffende Einspruchsentscheidung vom 06.03.2015 hat die Unternehmerin insoweit keine Klage erhoben. Auch kam eine Änderung aufgrund einer Korrekturvorschrift der AO nicht in Betracht.

Der Bundesfinanzhof sieht nicht die Möglichkeit, unter Berücksichtigung des Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes[4] die Klage gegen die Verlustfeststellungsbescheide entgegen ihrem Wortlaut als eine Klage auch gegen den Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheid vom 06.11.2013 zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Rechtsbehelfe in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt[5]. Aus der Klageschrift ergibt sich aber eindeutig, dass nur gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer und gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes jeweils auf den 31.12 2011 vom 06.11.2013 Klage erhoben werden sollte. Ihr wurden auch nur Abschriften dieser beiden Bescheide beigelegt. Aus der Klagebegründung vom 12.08.2015 ergibt sich, dass die Unternehmerin von einer weiter bestehenden Änderbarkeit des Körperschaftsteuer- und des Gewerbesteuermessbescheides wegen eines Vorläufigkeitsvermerks ausging und keine Klage wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer erheben wollte.

Die Unternehmerin kann auch nicht aufgrund der nach ihrer Ansicht fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung oder einer ungeklärten Rechtslage die begehrte Verlustfeststellung erlangen.

Soweit die Unternehmerin auf die unzureichende Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung hinweist, kann diese die Bestandskraft des Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheides im Zeitpunkt der vorinstanzlichen Entscheidung schon nicht mehr verhindern. Nach § 55 Abs. 2 FGO ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zulässig. Innerhalb dieser Frist hat die Unternehmerin nicht die streitigen Steuerbescheide angefochten, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft war.

Der Rechtsschutz der Unternehmerin war auch nicht aufgrund einer unklaren Rechtslage verkürzt. Die Unternehmerin hatte die Möglichkeit, gegen den Körperschaftsteuer- bzw. Gewerbesteuermessbescheid Klage zu erheben. Zwar ist das Urteil des BFH vom 10.02.2015[6] erst nach Ablauf der Klagefrist hinsichtlich dieser Steuerbescheide am 15.04.2015 veröffentlicht worden; jedoch ergab sich aus den Drucksachen des Deutschen Bundestags und der Literatur, dass der Gesetzgeber mit der Änderung in § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 die vor Ergehen der geänderten BFH-Rechtsprechung geltende Rechtslage wiederhergestellt hat[7]. Vor der Gesetzesänderung hatte der BFH mit seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Verlustfeststellung trotz bestandskräftiger und verfahrensrechtlich nicht mehr änderbarer Einkommensteuerveranlagung eingeräumt[8]. Vor Ergehen dieser Urteile lehnten Rechtsprechung und Finanzverwaltung aber übereinstimmend die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ab, wenn die Einkommensteuerveranlagung des betreffenden Jahres bestandskräftig und verfahrensrechtlich nicht mehr änderbar war[9]. Dies hätte die Unternehmerin veranlassen können, von der Möglichkeit der Klageerhebung gegen die o.g. Steuerbescheide Gebrauch zu machen, um sicherzustellen, keinen Rechtsverlust zu erleiden[10].

Auch Jachmann-Michel weist in der Kommentierung zu der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 10.02.2015[11] darauf hin, dass die Änderung des Einkommensteuerbescheides „allein“ deshalb unterblieben sein muss, weil eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht möglich war. Sie verweist damit auf die Rechtsauffassung des IX. Senats des Bundesfinanzhofs.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Mai 2018 – XI R 50/17

  1. ständige Rechtsprechung, s. zuletzt BFH, Urteile vom 12.07.2016 – IX R 31/15, BFHE 255, 1, BFH/NV 2017, 100, Rz 17, m.w.N.; vom 11.10.2017 – IX R 15/17, BFH/NV 2018, 433, Rz 14[]
  2. BFH, Urteile in BFHE 255, 1, BFH/NV 2017, 100, Rz 17; in BFH/NV 2018, 433, Rz 14[][]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 06.07.2005 – XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029[]
  4. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2005, 2029, m.w.N.[]
  5. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 31.10.2000 – VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589[]
  6. BFH, Urteil vom 10.02.2015 – IX R 6/14, BFH/NV 2015, 812[]
  7. s. BFH, Urteil in BFH/NV 2015, 812, Rz 20, m.w.N.[]
  8. BFH, Urteile vom 17.09.2008 – IX R 70/06, BFHE 223, 50, BStBl II 2009, 897; – IX R 69/06, BFH/NV 2009, 555; – IX R 65/06, BFH/NV 2009, 385; – IX R 92/07[]
  9. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2015, 812, Rz 20, mit Hinweisen auf die frühere Rechtsprechung[]
  10. vgl. auch BFH, Urteil in BFH/NV 2015, 812, Rz 22, zum Verzicht auf die Einspruchsrücknahme gegen den Steuerbescheid[]
  11. jurisPR-SteuerR 32/2015, Anm. 3[]