Die Fahrtkosten und Übernachtungskosten bei einer Vollzeit-Bildungsmaßnahme

Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme ist für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG unerheblich.

Die Fahrtkosten und Übernachtungskosten bei einer Vollzeit-Bildungsmaßnahme

Nach der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts zum Veranlagungszeitraum 2014 gilt damit auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, als erste Tätigkeitsstätte.  Dies gilt selbst dann, wenn die Bildungseinrichtung lediglich im Rahmen einer kurzzeitigen Bildungsmaßnahme besucht wird. Seit dem Veranlagungszeitraum 2014  werden Auszubildende und Studierende, die eine Bildungseinrichtung dauerhaft aufsuchen, im Gegensatz zur früheren Rechtslage einem Arbeitnehmer steuerlich gleichgestellt, der eine erste Tätigkeitsstätte dauerhaft aufsucht. In diesen Fällen kann der Auszubildende/Studierende Aufwendungen für die Fahrten zur Bildungseinrichtung nur noch mit der Entfernungspauschale (0,30 €/Entfernungskilometer) und nicht mehr in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten ansetzen. Auch der Abzug von Übernachtungskosten und Verpflegungsmehraufwendungen kommt nicht mehr nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur noch in Betracht, wenn der Steuerpflichtige am Lehrgangsort einen durch die Bildungsmaßnahme veranlassten doppelten Haushalt führt.

In dem hier vom Bundesfinanzhof enntschiedenen Fall besuchte der Kläger, der nicht in einem  Arbeitsverhältnis stand, einen viermonatigen Schweißtechnikerlehrgang in Vollzeit. In Zusammenhang mit dem Lehrgang machte er u.a. Kosten für eine Unterkunft am Lehrgangsort sowie Verpflegungsmehraufwendungen für drei Monate nach Dienstreisegrundsätzen als  Werbungskosten geltend. Er verneinte die Gleichstellung mit einem Arbeitnehmer angesichts der Kürze der Lehrgangsdauer.

Dieser Auffassung folgte der Bundesfinanzhof, wie schon zuvor schon das Finanzgericht Nürnberg[1] nicht:

Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme sei für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte i.S. des neugefassten § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG unerheblich. Das Gesetz verlange keine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme. Erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig ohnehin zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsuche. Der Auszubildende/Studierende werde mithin einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer gleichgestellt.

Nach § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013[2] gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2014 als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird.

Bei der hier besuchten Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in A handelt es sich um eine Bildungseinrichtung i.S. von § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG. Diese Bildungseinrichtung hat der Kläger auch außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht.

Eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liegt -in Abgrenzung zu einer nur in Teilzeit durchgeführten Maßnahme- vor, wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung -wie der hier in Rede stehende Schweißtechnikerlehrgang- typischerweise darauf ausgerichtet ist, dass sich der Steuerpflichtige ihr zeitlich vollumfänglich widmen muss und die Lerninhalte vermittelnden Veranstaltungen jederzeit besuchen kann.

Eine Bildungseinrichtung gilt auch dann als erste Tätigkeitsstätte, wenn sie vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer nur kurzzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Eine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme ist nicht erforderlich. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut, der systematischen Auslegung als auch der Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG.

Eine dahingehende zeitliche Komponente enthält § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG nicht. Die Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut lediglich eine vollzeitige Bildungsmaßnahme außerhalb eines Dienstverhältnisses, nicht aber eine bestimmte Zeitdauer einer solchen Bildungsmaßnahme voraus.

Auch die Systematik der Norm verlangt nicht nach einer Mindestdauer der Bildungsmaßnahme. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtige in Vollzeitausbildung mit Arbeitnehmern vergleicht, die aufgrund der dauerhaften Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung über eine erste Tätigkeitsstätte verfügen, gegen eine solche Zeitkomponente, weil sich beide Personengruppen insoweit auf bestimmte Werbungskosten einrichten und deren Höhe beeinflussen können[3]. Die Dauer des jeweiligen Arbeitsverhältnisses ist für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte unerheblich. Dies verdeutlicht die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, wonach auch bei kurzzeitigen Arbeits- oder Dienstverhältnissen eine erste Tätigkeitsstätte vorliegen kann[4]. Dieser auch schon vor der Einführung des neuen Reisekostenrechts geltende Grundsatz[5] trägt auch die Fiktion in § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG, nach der eine Bildungseinrichtung unter den dort weiter genannten Voraussetzungen zeitunabhängig als erste Tätigkeitsstätte gilt. Denn auch bei einer -im Regelfall- zeitlich begrenzten Bildungsmaßnahme sucht der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken typischerweise nicht nur gelegentlich, sondern während der unter Umständen kurzzeitigen Bildungsmaßnahme fortdauernd und immer wieder auf, so dass er sich auf die ihm insoweit entstehenden Werbungskosten einrichten und deren Höhe beeinflussen kann.

Folglich kann für die Bestimmung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte auch nicht auf die vom Finanzgericht Nürnberg herangezogene, für den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen maßgebliche Dreimonatsfrist zurückgegriffen werden. Mit ihr unterstellt der Gesetzgeber typisierend, dass die bei Beginn einer Auswärtstätigkeit oder doppelten Haushaltsführung vorhandene überwiegende berufliche Veranlassung des Verpflegungsmehraufwands nunmehr entfallen ist, weil der Steuerpflichtige nach Ablauf dieser Frist regelmäßig eine Verpflegungssituation vorfindet, die keinen beruflich veranlassten Mehraufwand (mehr) verursacht[6]. Diese -den vorübergehenden beruflichen Veranlassungszusammenhang von Aufwendungen für die eigene Verpflegung, die grundsätzlich der einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Privatsphäre des Steuerpflichtigen zugehören, betreffende- Regelung erlaubt nicht, auf die Voraussetzungen für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte rückzuschließen. Denn eine auswärtige Tätigkeitsstätte wird nicht durch bloßen Zeitablauf zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte/ersten Tätigkeitsstätte[7].

Ebenso wenig lässt sich aus § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014[8], nach dem eine den Werbungskostenabzug für eine zweite Ausbildung eröffnende Erstausbildung u.a. voraussetzt, dass der erste Ausbildungsgang mindestens zwölf Monate dauert, ein zeitliches Kriterium für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte in einer Bildungseinrichtung ableiten. Der Gesetzgeber sucht durch die in § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG geregelten Mindestanforderungen an eine Erstausbildung die einfachgesetzliche Zuordnung der ersten Berufsausbildung und des Erststudiums zur privaten Lebensführung in § 9 Abs. 6 EStG abzusichern[9]. Auf § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG lässt sich dieser Gedanke jedoch nicht übertragen. Denn mit dieser Regelung will der Gesetzgeber ersichtlich die steuerliche Lastengleichheit zwischen Arbeitnehmern und „Vollzeitauszubildenden“ im Hinblick auf den Werbungskostenabzug beruflich veranlasster Aufwendungen herstellen[3]. Eine „zeitliche Verklammerung“ beider Vorschriften kommt damit nicht in Betracht.

Die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG bestätigt das Auslegungsergebnis. Mit der Einführung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG hat der Gesetzgeber die kurz zuvor geänderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, nach der es sich bei einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung/Universität nicht länger um eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. handelte[10], überschrieben, um bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen zu den Rechtsfolgen, die an eine regelmäßige Arbeitsstätte (jetzt erste Tätigkeitsstätte) anknüpfen, zurückzukehren[11]. Damit sollte die steuerliche Lastengleichheit zwischen Arbeitnehmern und „Vollzeitauszubildenden“ hergestellt werden[3].

Folglich sind seit Einführung des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG zum Veranlagungszeitraum 2014 -im Gegensatz zur früheren Rechtslage- bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen, die außerhalb eines Dienstverhältnisses erfolgen, Aufwendungen für die Wege zur Bildungseinrichtung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und damit nach Maßgabe der Entfernungspauschale als Werbungskosten anzusetzen. Übernachtungskosten und Verpflegungsmehraufwendungen sind ebenfalls nicht länger nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur noch im Rahmen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 4a EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigen.

Dies hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 4 Satz 8  2. Halbsatz EStG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 -KroatienAnpG-[12] klarstellend geregelt[13]. Denn danach sind die Regelungen für Arbeitnehmer nach Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 sowie Abs. 4a -ebenfalls ab dem Veranlagungszeitraum 2014 (§ 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des KroatienAnpG)- entsprechend anzuwenden.

Nach diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht die Aufwendungen des Klägers für die Unterkunft in A sowie die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen im Ergebnis zu Recht nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen. Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Kläger unterhielt in den Streitjahren keinen eigenen Hausstand außerhalb des Ortes der ersten Tätigkeitsstätte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Mai 2020 – VI R 24/18

  1. FG Nürnberg, Urteil vom 09.05.2018 – 5 K 167/17[]
  2. BGBl I 2013, 285[]
  3. BT-Drs. 17/10774, 15[][][]
  4. BFH, Urteil vom 11.04.2019 – VI R 36/16, BFHE 264, 240, BStBl II 2019, 543[]
  5. z.B. BFH, Urteil vom 06.11.2014 – VI R 21/14, BFHE 247, 427, BStBl II 2015, 338, Rz 14[]
  6. BT-Drs. 13/901, 129; vgl. dazu BFH, Urteil vom 08.07.2010 – VI R 10/08, BFHE 230, 352, BStBl II 2011, 32, Rz 16[]
  7. s. bereits BFH, Urteil vom 10.04.2008 – VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825, Rz 15, m.w.N.[]
  8. BGBl I 2014, 2417[]
  9. BT-Drs. 18/3017, 43[]
  10. BFH, Urteile vom 09.02.2012 – VI R 42/11, BFHE 236, 439, BStBl II 2013, 236, und – VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234[]
  11. s.a. BMF, Schreiben vom 24.10.2014 – IV C 5-S 2352/14/10002, BStBl I 2014, 1412, Rz 32; zur dahingehenden früheren Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825, unter II. 1.d, m.w.N.[]
  12. BGBl I 2014, 1266[]
  13. BT-Drs. 18/1529, 51[]