Reihengeschäft – und Zuordnung der tatsächlichen Lieferung

Bei einem Reihengeschäft mit drei Lieferungen und vier Beteiligten setzt die Zuordnung der Versendung zu der zweiten Lieferung insbesondere die Feststellung voraus, ob zwischen dem Erstabnehmer und dem Zweitabnehmer die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, stattgefunden hat, bevor die Versendung erfolgte[1].

Reihengeschäft – und Zuordnung der tatsächlichen Lieferung

Schließen -wie im Streitfall- mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer, ist nach § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen.

Ein solches Reihengeschäft ist auch bei Ausfuhrlieferungen möglich[2].

Die beteiligten Unternehmer führen dabei mehrere aufeinander folgende Lieferungen aus[3]. Für die innergemeinschaftliche Lieferung war bereits entschieden, dass es sich bei der Verschaffung der Verfügungsmacht (§ 3 Abs. 1 UStG, Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) und der Beförderung bzw. Versendung in den anderen Mitgliedstaat (§ 3 Abs. 6 UStG, Art. 32 Unterabs. 1 MwStSystRL) um zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale handelt, die getrennt voneinander zu prüfen sind[4]. Für die Ausfuhrlieferung gilt nichts anderes.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer u.a. Lieferungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Lieferungen eines Unternehmers sind gemäß § 3 Abs. 1 UStG Lieferungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

Diese Vorschrift setzt Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL[5] in nationales Recht um[6]. Danach gilt als „Lieferung von Gegenständen“ die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

Der unionsrechtliche Begriff „Lieferung von Gegenständen“ bezieht sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen; er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer[7]. Der BFH umschreibt diesen Vorgang ebenfalls in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag, ohne damit inhaltlich von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen[8].

Auch wenn eine Lieferung danach nicht zwangsläufig voraussetzt, dass das Eigentum am Gegenstand der Lieferung auf den Erwerber übergeht[9], ist die Verschaffung der Verfügungsmacht in der Regel mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübergang auf den Leistungsempfänger verbunden[10]. Eine Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH u.a. in der Eigentumsübertragung auf den Erwerber zu sehen sein, auch wenn sie nicht allein maßgebend ist[11]; denn die Möglichkeit, über einen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, steht typischerweise -vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen o.Ä., die dies ausnahmsweise ausschließen- seinem Eigentümer zu. Er kann grundsätzlich von Rechts wegen die Entscheidungen treffen, die sich auf die rechtliche Situation des betreffenden Gegenstands auswirken, sofern dies nicht aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise anders sein sollte.

Eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit hingegen ist keine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Lieferung[12], so dass eine Lieferung auch dadurch bewirkt werden kann, dass der Liefergegenstand in Vollzug einer auf Eigentumsübertragung gerichteten Vereinbarung durch Einräumung des mittelbaren Besitzes übergeben wird[13].

Außerdem kann die für eine Lieferung notwendige Verschaffung der Verfügungsmacht auch in der freiwilligen Übergabe durch den Eigentümer an den Erwerber zu sehen sein[14]. Daraus folgt, dass -von Ausnahmefällen abgesehen[15]– dem (ggf. Zweit-)Erwerber Verfügungsmacht verschafft wird, wenn er den Gegenstand abholt[16].

Ob die Verfügungsmacht übertragen worden ist, ist vom nationalen Gericht festzustellen[17]. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des Einzelfalls, d.h. die konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächliche Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten[18].

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. März 2020 – XI R 18/18

  1. Fortführung der Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 28.05.2013 – XI R 11/09, BFHE 242, 84; vom 25.02.2015 – XI R 30/13, BFHE 249, 336; vom 25.02.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 15.03.1994 – XI R 83/92, BFHE 175, 137, BStBl II 1994, 956, unter II., Rz 16; s. dazu jetzt auch § 3 Abs. 6a Satz 6 UStG in der im Streitjahr noch nicht geltenden Fassung des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019, BGBl I 2019, 2451[]
  3. vgl. EuGH, Urteil EMAG Handel Eder vom 06.04.2006 – C-245/04, EU:C:2006:232, BFH/NV 2006, Beilage 3, 294; BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 11/09, BFHE 242, 84, Rz 36[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 25.02.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343, Rz 55 und 57[]
  5. vormals Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 09.09.2015 – XI R 21/13, BFH/NV 2016, 597, Rz 19[]
  7. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. EuGH, Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe vom 08.02.1990 – C-320/88, EU:C:1990:61, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 1991, 289, Rz 7 f.; Auto Lease Holland vom 06.02.2003 – C-185/01, EU:C:2003:73, UR 2003, 137, Rz 32; Eon Aset Menidjmunt vom 16.02.2012 – C-118/11, EU:C:2012:97, UR 2012, 230, Rz 39; NLB Leasing vom 02.07.2015 – C-209/14, EU:C:2015:440, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2015, 636, Rz 29, m.w.N.[]
  8. vgl. BFH, Urteil in BFHE 249, 343, Rz 66, m.w.N.[]
  9. vgl. EuGH, Urteil Kursu zeme vom 10.07.2019 – C-273/18, EU:C:2019:588, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2019, 820, Rz 36, m.w.N.[]
  10. vgl. BFH, Urteile vom 24.11.1992 – V R 80/87, BFH/NV 1993, 634, unter II. 1.; vom 21.04.2005 – V R 11/03, BFHE 211, 50, BStBl II 2007, 63; vom 01.02.2007 – V R 41/04, BFHE 217, 40, unter II. 1.b[]
  11. vgl. EuGH, Urteil AREX CZ vom 19.12.2018 – C-414/17, EU:C:2018:1027, UR 2019, 101, Rz 78; BFH, Urteile in BFHE 242, 84, Rz 72; in BFHE 249, 343, Rz 66; s.a. Kettisch, UR 2014, 593, 600; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Herst vom 03.10.2019 – C-401/18, EU:C:2019:834, Rz 35[]
  12. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2016, 597, Rz 23 ff.; EuGH, Urteil AREX CZ, EU:C:2018, 1027, UR 2019, 101, Rz 75[]
  13. vgl. BFH, Urteil vom 08.09.2011 – V R 43/10, BFHE 235, 501, BStBl II 2014, 203, Rz 18[]
  14. vgl. EuGH, Urteil Dixons Retail vom 21.11.2013 – C-494/12, MwStR 2013, 774, Rz 23 f., 27 f.; BFH, Urteil in BFHE 249, 343, Rz 66[]
  15. vgl. BFH, Urteile vom 11.08.2011 – V R 3/10, BFHE 235, 43, Rz 19; vom 25.02.2015 – XI R 30/13, BFHE 249, 336, Rz 35[]
  16. vgl. EuGH, Urteile Toridas vom 26.07.2017 – C-386/16, EU:C:2017:599, HFR 2017, 868; Kreuzmayr vom 21.02.2018 – C-628/16, EU:C:2018:84, MwStR 2018, 308, Rz 35 ff.; BFH, Urteil in BFHE 249, 336, Rz 35[]
  17. vgl. z.B. EuGH, Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe, EU:C:1990:61, UR 1991, 289, Rz 13; Centralan Property vom 15.12.2005 – C-63/04, EU:C:2005:773, UR 2006, 418, Rz 63; Evita-K vom 18.07.2013 – C-78/12, EU:C:2013:486, UR 2014, 475, Rz 34[]
  18. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 09.02.2006 – V R 22/03, BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727, unter II. 1.b aa, Rz 20; vom 16.04.2008 – XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909, unter II. 2.a, Rz 27[]