Der Feststellungsbescheid über das Vorliegen einer Behinderung, den GdB und über das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale ist hinsichtlich dieser Feststellungen Grundlagenbescheid für den Kraftfahrzeugsteuerbescheid über Vergünstigungen für Schwerbehinderte.

Rechtsgrundlage für eine nach Erlass des GdB-Feststellungsbescheides begehrte rückwirkende Änderung des bereits bestandskräftigen Kraftfahrzeugsteuerbescheids ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
Nach § 3a KraftStG ist das Halten von Kraftfahrzeugen von der Steuer befreit, solange die Fahrzeuge für schwerbehinderte Personen zugelassen sind, die durch einen Ausweis i.S. des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) oder des Art. 3 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 09.07.1979[1] mit dem Merkzeichen „H“, „BI“ oder „aG“ nachweisen, dass sie hilflos, blind oder außergewöhnlich gehbehindert sind. Die Steuervergünstigung steht den behinderten Personen gemäß § 3a Abs. 3 KraftStG nur für ein Fahrzeug und nur auf schriftlichen Antrag zu. Sie entfällt, wenn das Fahrzeug nach Maßgabe des § 3a Abs. 3 Satz 2 KraftStG zweckfremd verwendet wird.
Nach § 69 Abs. 1 und Abs. 4 SGB IX in der im Streitfall noch geltenden Fassung (SGB IX a.F.; heute: § 152 Abs. 1 und Abs. 4 SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden (heute: die nach Landesrecht zuständigen Behörden) auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB sowie das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale zum Zeitpunkt der Antragstellung oder auch zu einem früheren Zeitpunkt fest. Auf Antrag stellen sie über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie über weitere gesundheitliche Merkmale einen Ausweis aus, der dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen für schwerbehinderte Menschen dient (§ 69 Abs. 5 SGB IX a.F.; heute § 152 Abs. 5 SGB IX).
Bei dem Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. (heute: § 152 Abs. 1 SGB IX) handelt es sich hinsichtlich der darin getroffenen Feststellungen über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie über weitere gesundheitliche Merkmale um einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO, der (u.a.) für den Kraftfahrzeugsteuerbescheid hinsichtlich der darin getroffenen Feststellungen Bindungswirkung entfaltet.
Diese für einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO erforderliche gesetzlich vorgesehene Bindungswirkung ergibt sich aus der Gesetzgebungshistorie dieser Regelung bzw. den mit ihr inhaltlich insoweit identischen Vorgängerregelungen. Durch diese Regelungen soll zum einen sichergestellt werden, dass ausschließlich die darin jeweils bestimmten Behörden (nach § 152 Abs. 1 SGB IX z.B. „die nach Landesrecht zuständigen Behörden“) zur Feststellung aller gesundheitlichen Merkmale zuständig sind, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Vergünstigung durch Behinderte sind. Zudem sollte durch Regelungen wie (heute) § 152 Abs. 5 SGB IX erreicht werden, dass mit dem danach auszustellenden Ausweis auch die Voraussetzungen nachgewiesen werden können, von denen andere Gesetze und Vorschriften die Inanspruchnahme von Vergünstigungen für Behinderte abhängig machen[2]. Die Regelungen, wie sie heute in § 152 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 5 SGB IX enthalten sind, sollen also letztlich sicherstellen, dass ausschließlich die darin genannten Behörden mit Bindungswirkung für alle anderen Behörden die Feststellungen einer Schwerbehinderung, eines GdB und besonderer Merkzeichen treffen und dass derjenige, für den entsprechende Feststellungen getroffen wurden, als Nachweis hierfür einen Ausweis erhält[3].
Dass dem Feststellungsbescheid nach (heute) § 152 Abs. 1 SGB IX hinsichtlich der darin getroffenen Feststellungen auch Bindungswirkung gegenüber der vom Hauptzollamt zu treffenden Entscheidung über die Steuerbefreiung nach § 3a KraftStG zukommt, ergibt sich auch mit der erforderlichen Deutlichkeit aus § 3a Abs. 1 KraftStG[4]. Denn danach kann der Nachweis, dass für den Halter näher bezeichnete Merkmale festgestellt werden, nur durch einen entsprechenden Ausweis geführt werden. Dieser Ausweis wird, wie dargelegt, nur ausgestellt, wenn die durch ihn nachzuweisenden Voraussetzungen zuvor in einem entsprechenden Feststellungsbescheid nach (heute) § 152 Abs. 1 SGB IX von der dafür zuständigen Behörde festgestellt wurden.
Ausgehend von den dargestellten Rechtsgrundsätzen ist ein Kraftfahrzeugsteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn für den Halter des Kfz ein entsprechender Feststellungsbescheid nach (heute) § 152 Abs. 1 SGB IX vorgelegt wird, sofern auch die übrigen Voraussetzungen des § 3a KraftStG für eine Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer gegeben sind. Ist dies der Fall, so ist der Kraftfahrzeugsteuerbescheid -ggf. auch rückwirkend- ab dem Zeitpunkt zu ändern, ab dem der Halter nach dem Feststellungsbescheid schwerbehindert und hilflos, blind oder außergewöhnlich gehbehindert ist.
Dem Wortlaut nach setzt § 3a KraftStG zwar die Vorlage eines Ausweises nach dem SGB IX als Nachweis der geforderten Merkzeichen und der Schwerbehinderteneigenschaft voraus. Angesichts des Umstandes, dass es sich bei dem Ausweis lediglich um den Nachweis der im Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. getroffenen Feststellungen zum GdB und den gesundheitlichen Merkzeichen handelt, kann der geforderte Nachweis der Merkzeichen -wie im Streitfall- aber auch durch Vorlage des Feststellungsbescheids selbst geführt werden (vgl. auch Ziff. 8.2 Nr. 2 DV-KraftSt[5]).
Da weder in § 3a KraftStG noch in anderen kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Rechtsvorschriften eine Frist für die Beantragung der Steuerbefreiung vorgesehen ist, stehen der begehrten Änderung des Kraftfahrzeugsteuerbescheids auch weder dessen Bestandskraft noch der Umstand entgegen, dass das Fahrzeug, für dessen Halten die Befreiung beantragt wird, abgemeldet, der Zeitraum, für den die Befreiung begehrt wird, also bereits abgelaufen ist.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Februar 2021 – IV R 38/19
- BGBl I 1979, 989[↩]
- vgl. BT-Drs. 7/4960, S. 5 f., 15 f.[↩]
- vgl. zu dieser Bindungswirkung auch BSG, Urteil vom 06.10.1981 – 9 RVs 3/81, BSGE 52, 168, Rz 33, 37, zur damaligen Regelung in § 3 des Schwerbehindertengesetzes; ferner BFH, Urteil vom 05.02.1988 – III R 244/83, BFHE 152, 488, BStBl II 1988, 436, unter II. 2. [Rz 13][↩]
- vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1, Rz 102[↩]
- Dienstvorschrift des BMF vom 06.12.2018 – III B 5-S 6010/16/10002:004 zur Anwendung des Kraftfahrzeugsteuerrechts[↩]