Kindergeldanspruch bei dualer Ausbildung

ein Kind, das ein duales Studium durchführt, hat seine Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung einer studienintegrierten praktischen Ausbildung in einem Lehrberuf (hier: zur Fachinformatikerin) beendet, sondern die Erstausbildung dauert jedenfalls bis zum Abschluss eines parallel durchgeführten Bachelorstudiums fort[1].

Kindergeldanspruch bei dualer Ausbildung

Demgemäß ist ein sich in dualer Ausbildung befindliches Kind bis zum Bachelor-Abschluss als Kind des Klägers nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen, weil es das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Weder die Änderung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.2011[2] noch die erneute -rückwirkende- Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26.06.2013[3] haben an der Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG etwas geändert[4].

Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG, der rückwirkend zum 1.01.2012 in Kraft getreten ist und den das Finanzgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat, wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach der Rechtsprechung des III. Bundesfinanzhofs des BFH[5], der sich der Bundesfinanzhof anschließt, gelten für die Auslegung dieser Vorschrift folgende Grundsätze:

§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung darstellt[6].

Der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal „Kind, das … für einen Beruf ausgebildet wird“[7].

Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach der systematischen Stellung, dem Zweck der Vorschrift und der Funktion des Familienleistungsausgleichs darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt[8]. Auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfolgten Abgrenzung zwischen der steuerrechtlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für „eine“ Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung darf bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden[9].

Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden[9].

Die in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. vorgesehene Einschränkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. steht dieser Auslegung nicht entgegen[10].

Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet, so dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf der Ebene der Besteuerung der Eltern als auch auf der Ebene der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte[11].

Bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums besteht keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG[12].

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Juni 2015 – XI R 1/14

  1. BFH, Urteil vom 03.07.2014 – III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152[]
  2. BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986[]
  3. BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802, Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz -AmtshilfeRLUmsG-[]
  4. vgl. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, unter II. 1. i.V.m. II. 2.b[]
  5. Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, unter II. 3.[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 19 ff.; BR-Drs. 54/11, S. 55 f.[]
  7. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.; BR-Drs. 54/11, S. 55 f.[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25 ff.; Seiler in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 32 Rz 17[]
  9. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30[][]
  10. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 31 f.[]
  11. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 33[]
  12. BFH, Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 34; s.a. BFH, Urteil vom 27.05.2003 – VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884[]