Eine „Förderung der Allgemeinheit“ zur Erlangung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO ist bereits dann zu verneinen, wenn eine Körperschaft Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten. Es kommt dann zwingend zum Verlust der Gemeinnützigkeit, ohne dass andere Leistungen der Körperschaft für das Gemeinwohl hiermit abzuwägen sind.
Der Bundesfinanzhof hat damit seine -durch den Gesetzgeber inzwischen mit dem Jahressteuergesetz 2009 in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO umgesetzte- ständige Rechtsprechung[1] bestätigt, wonach eine Steuerbefreiung ausgeschlossen ist, wenn die Körperschaft Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind.
Ob eine „Förderung der Allgemeinheit“ gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO zu verneinen ist, da eine Körperschaft Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, ist ebenso wie bei § 51 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO eigenständig und ohne eine die Leistungen der Körperschaft für das Gemeinwohl einbeziehende Abwägung zu entscheiden. Es ist daher keine Gesamtwürdigung mit der Folge einer Anerkennung (auch) extremistischer Körperschaften als gemeinnützig vorzunehmen.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte ein Verein, ein islamistischer Jugendverband, geklagt, der nach seiner Satzung in § 52 Abs. 2 AO genannte gemeinnützige Zwecke verfolgte, zugleich aber in Verfassungsschutzberichten erwähnt war; ab 2009 wurde er auch im Anhang eines Verfassungsschutzberichtes genannt, der extremistische Organisationen aufführte. Das Finanzamt versagte dem Verein wegen seiner Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten die Steuerbegünstigung bei der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer für die Jahre 2007 und 2008.
Der Bundesfinanzhof hob das der Klage stattgebende Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg[2] auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Der Bundesfinanzhof hat dabei seine -durch den Gesetzgeber später in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO umgesetzte- ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach eine Steuerbefreiung ausgeschlossen ist, wenn die Körperschaft Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind.
In die Prüfung, ob eine Körperschaft derartige Bestrebungen fördert, darf danach nicht einbezogen werden, dass die Körperschaft auch Tätigkeiten ausübt, die dem Gemeinwohl dienen. Eine Abwägung zwischen diesen verschiedenen Tätigkeiten ist nicht vorzunehmen, da die Förderung verfassungswidriger Bestrebungen keine Förderung der Allgemeinheit ist. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg, das eine derartige Abwägung jedoch vorgenommen hatte, hat nunmehr neu zu entscheiden und die Anhaltspunkte, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, unter Berücksichtigung der Ziele und Methoden einer Körperschaft sowie etwaiger organisatorischer, personeller, strategischer und ideologischer Verbindungen zu anderen Gruppierungen, die verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern, zu würdigen. Dabei hat das Finanzgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen, dass der Verein in den Streitjahren ab 2009 als extremistisch in Verfassungsschutzberichten aufgeführt ist und der Verein daher nach der ab diesen Streitjahren zu beachtenden Vermutungsregel des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO zu widerlegen hat, dass er keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen fördert.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sind von der Körperschaftsteuer Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen befreit, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO). Die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft muss auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den Bestimmungen entsprechen, die die Satzung über die Voraussetzungen für Steuervergünstigungen enthält (§ 63 Abs. 1 AO). Nach § 52 Abs. 1 Satz 1 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
Zudem sind nach § 4 Nr. 22 UStG steuerfrei die Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die unter anderem von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird der unbestimmte Rechtsbegriff der „Förderung der Allgemeinheit“ in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO wesentlich geprägt durch die objektive Werteordnung, wie sie insbesondere durch den Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Als Förderung der Allgemeinheit sind solche Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, nicht anzuerkennen[3]. Hierzu ordnet § 51 Abs. 3 AO, der gemäß Art. 97 § 1d Abs. 2 EGAO i.d.F. des JStG 2009 ab dem 01.01.2009 anzuwenden ist, in Satz 1 nunmehr ausdrücklich an, dass die Steuervergünstigung zudem voraussetzt, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 BVerfSchG fördert, wozu nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gehören. Nach § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist zudem bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO nicht erfüllt sind.
Ob eine „Förderung der Allgemeinheit“ gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO zu verneinen ist, da eine Körperschaft Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, ist ebenso wie bei § 51 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO eigenständig und ohne eine die Leistungen der Körperschaft für das Gemeinwohl einbeziehende Abwägung zu entscheiden. Es ist daher keine Gesamtwürdigung mit der Folge einer Anerkennung (auch) extremistischer Körperschaften als gemeinnützig vorzunehmen[4].
Dies hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg, das die gemeinwohlfördernden Tätigkeiten des Vereins in eine Gesamtschau einbezogen und den Umständen gegenüber gestellt hat, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, in Bezug auf alle Streitjahre verkannt. Es hat seine Überzeugung durch diese Vorgehensweise in rechtsfehlerhafter Weise gewonnen.
Für die Streitjahre 2007 und 2008 ergibt sich die vom Finanzgericht im Rahmen der Prüfung, ob die Tätigkeit des Vereins die Allgemeinheit förderte, vorgenommene, der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber entgegenstehende Abwägung daraus, dass das Finanzgericht darauf abgestellt hat, dass der Verein durch seine Tätigkeitsberichte im Besteuerungsverfahren und durch seinen Vortrag im Klageverfahren überzeugend dargelegt habe, dass seine tatsächliche Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar auf die Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sei. Das Finanzgericht hat nicht untersucht, was das Finanzamt dem Verein als Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorwarf, sondern hat zunächst nur die in den Tätigkeitsberichten dargestellten und ansonsten von dem Verein geschilderten -verfassungskonformen- Tätigkeiten des Vereins geprüft, diese mangels substantiierter Einwendungen des Finanzamtes hiergegen als tatsächlich ausgeübt und verfassungsmäßig angesehen und sodann die dem Verein im Einzelnen vorgeworfenen Umstände nicht ausreichen lassen, seine vorher gewonnene Überzeugung zu erschüttern. Die vom Finanzamt vorgebrachten einzelnen Umstände, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen können, hat das Finanzgericht rechtsfehlerhaft erst geprüft, nachdem es sich von einer nicht verfassungsfeindlichen Tätigkeit des Vereins überzeugt hat, um dieser Überzeugung sodann in einem zweiten Schritt die dem Verein vorgeworfenen Umstände gegenüberzustellen, wobei es in diesem zweiten Schritt wiederum auf die verfassungsgemäßen Aktivitäten des Vereins zurückgreift.
So stellt das Finanzgericht für das Jahr 2007 zunächst fest, der Verein habe nach den Ausführungen in seinem Tätigkeitsbericht verschiedene Veranstaltungen organisiert oder an solchen teilgenommen, die beispielsweise das Thema Integration und die Vereinbarkeit von Religion und Alltag zum Gegenstand gehabt hätten, woran weder seitens des Finanzamtes noch aufgrund der Verfassungsschutzberichte Zweifel bestünden, und was zu seiner Überzeugung führe, die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins im Streitjahr 2007 stehe nicht im Widerspruch zu den Wertentscheidungen des Grundgesetzes. Sodann ist das Finanzgericht ausdrücklich im Hinblick auf die vorgeworfenen Umstände „nicht davon überzeugt, dass der Verein [dadurch] im Widerspruch zu seinem sonstigen Engagement in gemeinnützigkeitsrechtlich schädlicher Weise tätig geworden ist“. Die vorgeworfenen Umstände seien entweder nicht Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung oder in Teilen nicht zurechenbar. Zu dieser Auffassung gelangt das Finanzgericht indes aufgrund einer Gesamtschau, für die es rechtsfehlerhaft auf die von ihm zuvor gewonnene Überzeugung zurückgreift und zudem erneut rechtsfehlerhaft die Tätigkeiten berücksichtigt, die in den Tätigkeitsberichten des Vereins dargestellt sind. So bezieht das Finanzgericht bei der Beurteilung der Einladung von Referenten zu Veranstaltungen des Vereins ein, dass sich der Verein durch seinen Vortrag im Verfahren als auch durch die Kooperationen, die in seinen Tätigkeitsberichten dargestellt seien und die er nachgewiesen habe, wiederholt von radikalen Auffassungen distanziert habe. Ebenso rechtsfehlerhaft gewinnt das Finanzgericht seine Überzeugung, indem es auf die seiner Auffassung nach zu trennende Sphäre des Vereins und seiner Vorstandsmitglieder abstellt und dann vom Finanzamt verlangt darzulegen, wie und ob sich die verfassungsfeindliche Einstellung eines Vorstandsmitglieds in den von dem Verein dargelegten und nach der Überzeugung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg mit der Verfassung zu vereinbarenden Veranstaltungen und Kooperationen niedergeschlagen habe.
Auch für 2008 bezieht sich das Finanzgericht zunächst auf die Darstellungen des Vereins in seinem Tätigkeitsbericht, wie etwa die Organisation verschiedener Veranstaltungen und Dialogprojekte, denen das Finanzamt nicht substantiiert entgegengetreten sei. Sodann genügten die vorgeworfenen Umstände ebenfalls nicht, um das Finanzgericht „davon zu überzeugen, dass die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins im Widerspruch zur grundgesetzlichen Werteordnung stand“[5]. Beispielsweise bezieht das Finanzgericht bei seiner Überzeugungsbildung hinsichtlich der Teilnahme eines Vorstandsmitglieds des Vereins an einer Delegiertenversammlung des X-Vereins zu Unrecht im Wege einer Gesamtschau die Darstellungen im Tätigkeitsbericht des Vereins ein.
Ebenso hat das Finanzgericht für die Streitjahre 2009 bis 2013 im Rahmen des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO rechtsfehlerhaft zwischen gemeinwohlförderndem und gemeinwohlschädlichem Verhalten abgewogen. Es hat für diese Streitjahre jeweils zunächst ausführlich die vom Verein in seinen Tätigkeitsberichten dargestellten Tätigkeiten gewürdigt und war danach überzeugt, dass der Verein wie in den Vorjahren seine tatsächliche Geschäftsführung im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fortgeführt habe. Ausgehend hiervon hält es zu Unrecht die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO bereits dann für widerlegt, wenn die Körperschaft beweise, sie verhalte sich verfassungskonform, ohne den vollen Beweis des Gegenteils zu konkreten Umständen, die für eine Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, führen zu müssen. Hierfür legt das Finanzgericht rechtsfehlerhaft wiederum als Maßstab jeweils die in den Tätigkeitsberichten des Vereins angeführten Tätigkeiten zugrunde und prüft sodann, ob die einzelnen dem Verein vorgeworfenen Umstände geeignet sind, seine zuvor erlangte Überzeugung von der Vereinbarkeit der tatsächlichen Geschäftsführung des Vereins mit der Werteordnung des Grundgesetzes zu erschüttern.
Demgegenüber hätte das Finanzgericht die Anhaltspunkte, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, zunächst -unabhängig von der Verteilung der objektiven Feststellungslast- einzeln und in ihrer Gesamtschau[6] unter Berücksichtigung der Ziele und Methoden einer Körperschaft sowie etwaiger organisatorischer, personeller, strategischer und ideologischer Verbindungen zu anderen Gruppierungen, die verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern, würdigen müssen. Hierfür ist es erforderlich, sich mit allen Umständen auseinanderzusetzen, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, und im Rahmen seiner Würdigung Tätigkeiten außer Betracht zu lassen, die das Gemeinwohl fördern[7]. Daran fehlt es hier.
Zudem ist entgegen dem Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg auch im Rahmen der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beachten.
4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht, das aber durch Grundrechte Dritter sowie durch Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang eingeschränkt wird[8]. Daher hindert dieses Grundrecht und der damit verbundene Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates[9] den in dieser Weise religiös-weltanschaulich neutralen Staat nicht daran, das tatsächliche Verhalten einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, auch wenn dieses Verhalten letztlich religiös motiviert ist[10].
Damit nicht vereinbar ist die Annahme des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg, bei Körperschaften, die sich auf die Glaubensfreiheit berufen könnten, sei der Staat bereits gehindert, Schriften oder Erklärungen nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen, sodass er gehalten sei, Texte in einer Weise zu beurteilen, die der Glaubensfreiheit die weiteste Auslegung erlaube, und es demnach genüge vorzubringen, die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft sei Ausdruck ihrer grundrechtlich gewährleisteten Glaubensfreiheit, um trotz bestehender Anhaltspunkte für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen eine Förderung der Allgemeinheit anzunehmen oder die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO zu widerlegen.
Die Sache war für den Bundesfinanzhof jedoch noch nicht spruchreif und daher an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Der Bundesfinanzhof konnte im Revisionsverfahren die erforderliche tatsächliche Würdigung, ob die einzelnen Umstände tatsächlich keine Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch den Verein bedeuten, nicht nachholen. Für den zweiten Rechtsgang vor dem Finanzgericht wies der Bundesfinanzhof auf Folgendes hin:
Für die Streitjahre 2007 und 2008 ist § 51 Abs. 3 Satz 2 AO nicht anzuwenden, wie sich aus dem Wortlaut des Art. 97 § 1d Abs. 2 EGAO i.d.F. des JStG 2009 ergibt, der eine Anwendung dieser Vorschrift ab dem 01.01.2009 anordnet, ohne dabei -wie es z.B. in Art. 97 § 1d Abs. 3 EGAO i.d.F. des JStG 2010[11] geregelt ist- zusätzlich zu bestimmen, dass die Vorschrift auch für vor diesem Zeitraum beginnende Veranlagungszeiträume anzuwenden ist, soweit Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig sind oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Zudem kommt es im Hinblick auf die mit § 51 Abs. 3 Satz 2 AO neu eingeführte gesetzliche Vermutungsregelung nicht in Betracht, der Vorschrift eine lediglich deklaratorische Bedeutung beizumessen. Sollte aus der früheren Verwaltungsauffassung (Nr. 10 Satz 1 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung i.d.F. des BMF, Schreibens vom 17.01.2012, BStBl I 2012, 83 zu § 51: „Die Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO gilt in allen offenen Fällen.“; aufgehoben durch das BMF, Schreiben vom 31.01.2019, BStBl I 2019, 71) eine Rückwirkung der Vorschrift auf Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten abzuleiten sein[12], schließt sich der Bundesfinanzhof dem nicht an.
Gleichwohl können die Verfassungsschutzberichte der jeweiligen Jahre für die Beurteilung der Aktivitäten des Vereins im jeweiligen Streitjahr ausgewertet und zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen werden[13].
Der für die Streitjahre 2009 bis 2013 zeitlich anwendbare § 51 Abs. 3 Satz 2 AO setzt lediglich voraus, dass die betreffende Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht „als extremistische Organisation aufgeführt“ ist. Dies ist der Fall, wenn sie dort ausdrücklich als extremistisch bezeichnet wird, nicht aber, wenn die Körperschaft nur als Verdachtsfall oder sonst beiläufig Erwähnung findet[14]. Der Tatbestand des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist dabei jedenfalls dann erfüllt, wenn die Körperschaft ausdrücklich im Anhang des Verfassungsschutzberichts des Bundes erwähnt ist, in dem Gruppierungen aufgeführt sind, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, sodass es sich um eine extremistische Gruppierung handelt[15]. Entgegen der Auffassung des Vereins verstößt der in § 51 Abs. 3 Satz 2 AO verwendete Begriff „extremistisch“ auch unter Berücksichtigung des von ihm angeführten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts[16] nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Hiergegen spricht bereits eine Auslegung dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift[17] und der Verweisung in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO auf § 4 BVerfSchG. Ist eine Körperschaft als extremistische Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht aufgeführt, kommt es entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg auch nicht in Betracht, zur Widerlegung der Vermutung den „positiven“ Beweis genügen zu lassen, dass sich die Körperschaft verfassungskonform verhalte, und die Körperschaft von dem Beweis des Gegenteils der ihr vorgeworfenen Umstände zu befreien oder die Umstände, die für die Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen sprechen, im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu würdigen. Dies würde zu einer der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden Abwägungsentscheidung führen.
Weiter wird das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang neben den für die Zurechnung von Äußerungen und Verhaltensweisen bereits zugrunde gelegten Grundsätzen des BFH-Urteils vom 27.09.2001[18] jedenfalls auch die hierzu ergangenen Urteile des Bundesfinanzhofs vom 10.01.2019 und vom 29.08.1984[19] zu berücksichtigen haben. Dabei wird es weiter zu beachten haben, dass eine Zurechnung der Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch durch die Ziele und durch die Billigung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Rahmen vereinseigener Aktivitäten erfolgen kann. So kann auch die Einladung von Referenten, die extremistischen Organisationen nahestehen, zu Veranstaltungen des Vereins entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg nicht nur isoliert betrachtet werden, insbesondere wenn auf den Veranstaltungen nicht ausdrücklich der Hintergrund dieser Personen dargestellt und sich mit ihren Positionen auseinandergesetzt wird. Weiter können auch Verhaltensweisen von Personen, die bestimmten Gruppierungen zuzurechnen sind, dem Verein -auch im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Satz 3 AO- zurechenbar sein, da ausweislich der vom Finanzgericht in Bezug genommenen Satzung des Vereins bestimmte Untergliederungen zur Organisation des Vereins gehören und diese satzungsgemäß an die Beschlüsse und Weisungen des Vereins gebunden sind.
Für Zwecke der Umsatzsteuer wird das Finanzgericht sich damit auseinanderzusetzen haben, ob die bisher zwischen den Beteiligten nicht streitige Vorschrift des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG, die -anders als § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG- für die „Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken (…) dienen“, nicht ausdrücklich auf die §§ 51 bis 68 AO verweist, im Hinblick auf die Anknüpfung in Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) an personenbezogene Voraussetzungen unionsrechtskonform auszulegen ist[20].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. September 2024 – V R 15/22
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 14.03.2018 – V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.05.2022 – 8 K 8117/16[↩]
- BFH, Urteil vom 11.04.2012 – I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146, Rz 16[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.03.2018 – V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422, Rz 39 bis 43[↩]
- FG, Urteil, S. 30, erster Absatz, unter I. 3.b der Entscheidungsgründe[↩]
- vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 31.05.2022 – 1 BvR 564/19, NJW 2022, 3629, Rz 19; BVerfG, Urteil vom 21.07.2010 – 6 C 22.09, BVerwGE 137, 275, Rz 30[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 11.04.2012 – I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146, Rz 25; und vom 14.03.2018 – V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422, Rz 36 bis 38[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 14.01.2020 – 2 BvR 1333/17, BVerfGE 153, 1, unter C.I. 1. und C.I. 2.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, unter C.II. 1.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, unter C.V.02.a; BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 – 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279, unter B.I. 2.[↩]
- BGBl I 2010, 1768[↩]
- offengelassen im BFH, Urteil vom 11.04.2012 – I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146, Rz 19[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 11.04.2012 – I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146, Rz 18 und 22[↩]
- BFH, Urteile vom 11.04.2012 – I R 11/11, BFHE 237, 22, BStBl II 2013, 146, Rz 20; und vom 14.03.2018 – V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422, Rz 28[↩]
- BFH, Urteil vom 14.03.2018 – V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422, Rz 9 und 30; vgl. zur Verdachtsberichterstattung BVerfG, Beschluss vom 24.05.2005 – 1 BvR 1072/01, BVerfGE 113, 63, Rz 68 und 78[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12.2010 – 1 BvR 1106/08, Zeitschrift für das gesamte Medienrecht (AfP) 2011, 43[↩]
- BR-Drs. 545/08, S. 48 und 125, BT-Drs. 16/11108, S. 8 und 45[↩]
- BFH, Urteil vom 27.09.2001 – V R 17/99, BFHE 197, 314, BStBl II 2002, 169, unter II. 2.e[↩]
- BFH, Urteile vom 10.01.2019 – V R 60/17, BFHE 263, 290, BStBl II 2019, 301, Rz 36; und vom 29.08.1984 – I R 215/81, BFHE 142, 243, BStBl II 1985, 106, unter 5.b[↩]
- vgl. z.B. zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL BFH, Urteil vom 30.06.2022 – V R 32/21 (V R 31/17), BFHE 277, 519, Rz 18[↩]





