Die Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers

Erste Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers ist sein Amtssitz, bestehend aus den Dienstgebäuden des Amtsgerichts, dem er zugeordnet ist, und dem Geschäftszimmer, welches er am Sitz des Amtsgerichts auf eigene Kosten vorzuhalten hat.

Die Tätigkeitsstätte eines Gerichtsvollziehers

Eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG liegt insbesondere vor, wenn dieser die tatsächliche Sachherrschaft darüber aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann. Eine Einrichtung des Arbeitnehmers, die dieser aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen, dinglichen oder auch faktischen Nutzungsrechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, kann eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, wenn dieser aufgrund seines Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung auf die Nutzung der Einrichtung durch den Arbeitnehmer bestimmenden Einfluss nehmen kann.

Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0, 30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden[1]. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen[2].

Eine Einrichtung des Arbeitgebers liegt vor, wenn sie ihm zuzurechnen ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitgeber die tatsächliche Sachherrschaft über die betreffende Einrichtung aufgrund seiner Eigentümerstellung, eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts ausüben kann. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber kraft seines arbeits- oder dienstrechtlichen Direktionsrechts oder kraft hoheitlicher Anordnung bestimmenden Einfluss auf die Nutzung der Einrichtung für seine betrieblichen Zwecke ausüben kann. Unter diesen Voraussetzungen kann auch eine Einrichtung, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Eigentümerstellung, seines obligatorischen oder dinglichen Rechts für die berufliche Tätigkeit nutzt, eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein.

Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht[3].

Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der Finanzgerichtsordnung zugelassenen Beweismittel möglich und durch das Finanzgericht im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll[4].

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören[5].

Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.

Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3  1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt[6].

Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3  2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt[7].

Nach diesen Maßstäben ist das im vorliegenden Streitfall erstinstanzlich tätige Finanzgericht Baden-Württemberg[8] im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass sich die erste Tätigkeitsstätte des Gerichtsvollziehers im Streitjahr an seinem Amtssitz in den Dienstgebäuden des AG Y sowie dem vom Gerichtsvollzieher angemieteten Geschäftszimmer (§ 30 GVO) in Y befand.

Die Dienstgebäude des AG Y, zu denen insbesondere das Geschäftszimmer der Verteilungsstelle (§ 23 GVO) gehört, sind, was zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit steht, eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers des Gerichtsvollziehers, hier des Landes Baden-Württemberg.

Neben den Dienstgebäuden des AG Y gehört auch das vom Gerichtsvollzieher zusammen mit anderen Gerichtsvollziehern angemietete Gemeinschaftsbüro (Geschäftszimmer) zu der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers.

Zwar haben der klagende Gerichtsvollzieher und die anderen Gerichtsvollzieher das Gemeinschaftsbüro angemietet und nutzen es dementsprechend aus eigenem Recht für ihre berufliche Tätigkeit. Gleichwohl ist es dem Dienstherrn/Arbeitgeber angesichts der besonderen öffentlich-rechtlichen Regelung des Dienstverhältnisses eines Gerichtsvollziehers in der GVO als betriebliche Einrichtung zuzurechnen. Dem Gerichtsvollzieher wird in den Dienstgebäuden des AG Y kein Geschäftszimmer zur Verfügung gestellt. Er ist vielmehr nach § 30 GVO verpflichtet, an seinem Amtssitz, dem Sitz seiner Dienstbehörde (§ 2 Satz 1 GVO) -hier Y-, ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten zu halten. Dieses ist von außen als solches kenntlich zu machen und mit einem Briefeinwurf oder Briefkasten zu versehen (§ 30 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 GVO). Daneben sind die Büroeinrichtung und die technische Ausstattung des Geschäftszimmers am Amtssitz nach Art und Umfang im Einzelnen in § 30 Abs. 3 bis 5 GVO geregelt. Zudem ist vorgeschrieben, welche dienstlichen Unterlagen (wie Akten, Register und Kassenbücher, Datenträger) der Gerichtsvollzieher, hier der Gerichtsvollzieher, in dem Geschäftszimmer aufzubewahren hat (§ 30 Abs. 8 Satz 1 GVO) und welche privaten Unterlagen im Geschäftszimmer nicht aufbewahrt werden dürfen (§ 30 Abs. 8 Satz 2 Halbsatz 2 GVO). Die zweckmäßige Einrichtung des Geschäftsbetriebs ist auch Gegenstand der vierteljährlich oder mindestens jährlich durchzuführenden ordentlichen Geschäftsprüfung der Geschäftsführung des Gerichtsvollziehers durch den dafür zuständigen Richter oder Beamten des AG (§ 72 Abs. 1 i.V.m. § 75 Abs. 4 GVO), welche bei Beanstandungen erforderliche Maßnahmen der Dienstaufsicht rechtfertigt (§ 77 GVO).

Angesichts dieser Vorgaben ist auch das Gemeinschaftsbüro (Geschäftszimmer) des Gerichtsvollziehers dem Arbeitgeber, hier dem Land Baden-Württemberg, als betriebliche Einrichtung zuzurechnen.

Die Dienstgebäude des AG Y und das am selben Ort angemietete Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers stehen auch in einem räumlichen und organisatorischen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers. Sie stellen daher eine zusammengefasste ortsfeste betriebliche Einrichtung dar.

Wie bereits dargelegt, musste der Gerichtsvollzieher das Geschäftszimmer in Y, dem Sitz seiner Dienstbehörde (AG Y), halten. Die ihm erteilten Aufträge musste er in dem bei der Verteilungsstelle des AG (§ 23 Abs. 1 GVO) für ihn eingerichteten Abholfach für Posteingänge täglich abholen oder auf eigene Verantwortung abholen lassen (§ 25 Abs. 1, 2 GVO). Die Bürotätigkeit des Gerichtsvollziehers erstreckte sich damit sowohl auf das Geschäftszimmer der Verteilungsstelle im AG Y als auch auf das von ihm auf eigene Kosten in räumlicher Nähe angemietete Geschäftszimmer, was die steuerliche Behandlung der beiden Räumlichkeiten als eine zusammengefasste ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitsgebers rechtfertigt.

Der Gerichtsvollzieher war dieser Tätigkeitsstätte in Y, bestehend aus den Dienstgebäuden des AG Y und dem angemieteten Geschäftszimmer, nach den bestehenden dienstrechtlichen Vorschriften zugeordnet, was zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht. Der Bundesfinanzhof sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.

Diese Zuordnung erfolgte ebenfalls unbefristet. Denn sie war weder kalendermäßig bestimmt noch ergab sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung eine Befristung.

Der Gerichtsvollzieher ist dort auch in dem für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte hinreichenden Umfang tätig geworden[9]. Er hat nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des Finanzgericht vier- bis fünfmal die Woche seine Vollstreckungsaufträge aus dem Abholfach der Verteilungsstelle abgeholt. Zudem hat er zweimal die Woche für jeweils eine Stunde Bürozeiten im Geschäftszimmer abgehalten.

Die von den Gerichtsvollziehern aufgeworfene Frage, ob der dem Gerichtsvollzieher zugeschlagene Gerichtsvollzieherbezirk ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG ist, stellt sich im Streitfall damit nicht. Denn einer Antwort auf diese Frage bedarf es nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG nur, wenn der Steuerpflichtige -anders als der Gerichtsvollzieher im Streitfall- über keine erste Tätigkeitsstätte verfügt.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Dezember 2020 – VI R 35/18

  1. z.B. BFH, Urteil vom 04.04.2019 – VI R 27/17, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 13, m.w.N.[]
  2. BFH, Urteil vom 11.04.2019 – VI R 40/16, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546[]
  3. BFH, Urteil in BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546, Rz 23, 35[]
  4. z.B. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 17[]
  5. BFH, Urteile in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 18 f., und in BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546, Rz 25 f.[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 21[]
  7. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 22[]
  8. FG Baden-Württemberg, Urtiel vom 23.07.2018 – 10 K 1935/17[]
  9. s. BFH, Urteile vom 30.09.2020 – VI R 10/19, BFHE 270, 465, BStBl II 2021, 306, Rz 28, und – VI R 11/19, BFHE 270, 470, BStBl II 2021, 308, Rz 29[]