Ein finanzgerichtliches Urteil ist ohne Entscheidung in der Sache isoliert aufzuheben, wenn es gegenüber einer Person ergangen ist, die nicht als Kläger gemäß § 57 Nr. 1 FGO am Klageverfahren beteiligt war[1].

Das Urteil des Finanzgericht ist aufzuheben, wenn es gegen eine Person ergangen ist, die nicht als Kläger im Sinne von § 57 Nr. 1 FGO am Klageverfahren beteiligt war. Wer Kläger ist, kann der Bundesfinanzhof ohne Bindung an die Feststellungen des Finanzgericht selbst im Wege der Auslegung ermitteln[2].
Für die Bestimmung der Beteiligtenstellung muss die Bezeichnung in der Klageschrift (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht in jedem Fall ausschlaggebend sein. Die Auslegung der Klageschrift erfolgt nach den für die Willenserklärungen geltenden Grundsätzen. Für die Auslegung und Bestimmung der in der Klageschrift genannten Kläger sind alle dem Finanzgericht und dem Beklagten bekannten und vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen. Dabei sind auch Umstände heranzuziehen, die nur dem Beklagten als einem Adressaten der Klage (neben dem Finanzgericht) erkennbar waren[3]. Maßgeblich ist, welcher Sinn der in der Rechtsbehelfsschrift gewählten Beteiligtenbezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. Auch bei scheinbar eindeutiger Bezeichnung hängt die Auslegung der Beteiligtenbestimmung von allen den Empfängern der Rechtsbehelfsschrift bekannten oder vernünftigerweise erkennbaren Umständen tatsächlicher und rechtlicher Art ab[4]. Dabei ist auch das weitere tatsächliche Vorbringen im zeitlichen Nachgang zur Klageschrift mit einzubeziehen[5].
Bestehen Zweifel, wer ein Rechtsmittel eingelegt hat, so ist nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung anzunehmen, dass das Rechtsmittel eingelegt werden sollte, das zulässig ist[6]. Dazu muss die Klageschrift jedoch auslegungsbedürftig und auslegbar sein. Einer Auslegung steht nicht entgegen, dass eine Klageschrift von einem fachkundigen Bevollmächtigten verfasst worden ist. Soweit sie nicht eindeutig formuliert sind, sind auch deren Schreiben der Auslegung zugänglich[7].
Nur wenn die Prozesserklärung klar und eindeutig ist und offensichtlich dem bekundeten Willen des Beteiligten entspricht, besteht grundsätzlich kein Raum für eine gegenteilige Auslegung[8].
Eine von der Klägerin beantragte Berichtigung des Rubrums kann nicht als zulässige Klageänderung gemäß § 67 Abs. 1 FGO behandelt werden, wenn die Klagefrist für die Anfechtungsklage von einem Monat ab Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zum Zeitpunkt der Stellung des Berichtigungsantrags bereits abgelaufen ist. Denn bei der vorliegenden, gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO fristgebundenen Anfechtungsklage ein solcher gewillkürter Beteiligtenwechsel nur innerhalb der Klagefrist vorgenommen werden kann[9].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. Dezember 2022 – IV R 27/20
- Anschluss an BFH, Urteil vom 08.10.2019 – X R 23/18[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 09.01.2019 – IV R 27/16, BFHE 263, 438, BStBl II 2020, 11, Rz 19[↩]
- BFH, Urteil vom 23.04.2009 – IV R 87/05, BFH/NV 2009, 1650, unter II. 1.b [Rz 26]; BFH, Beschluss vom 17.07.2012 – IV B 55/11, Rz 14[↩]
- BFH, Urteil vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 15, zum Revisionsverfahren[↩]
- BFH, Urteil vom 08.10.2019 – X R 23/18, Rz 26[↩]
- BFH, Urteil vom 10.09.2020 – IV R 6/18, BFHE 270, 87, BStBl II 2021, 197, Rz 21[↩]
- BFH, Urteil vom 19.04.2007 – IV R 28/05, BFHE 218, 75, BStBl II 2007, 704, unter II. 1.c [Rz 19][↩]
- BFH, Urteil in BFHE 263, 438, BStBl II 2020, 11, Rz 19[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 23.03.2005 – III R 20/03, BFHE 209, 29, BStBl II 2006, 432, unter II. 2.b, m.w.N.; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 67 Rz 19[↩]