Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in der Einspruchsentscheidung – und der Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung

Eine der Einspruchsentscheidung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht unrichtig i.S. des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO, wenn darin ausgeführt wird, gegen die Entscheidung könne nur Klage beim Finanzgericht erhoben werden, und das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung sowohl über den Einspruch entschieden als auch den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben hat.

Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in der Einspruchsentscheidung – und der Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung

Wird wie im Streitfall eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, das Finanzgericht habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, weil es unzutreffenderweise von einer Versäumung der Klagefrist ausgegangen sei, liegt darin die Rüge eines Verfahrensmangels[1]. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat die Klage im hier entschiedenen Streitfall jedoch zu Recht als erst nach Ablauf der Klagefrist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben angesehen und durch Prozessurteil abgewiesen[2]:

Die Frist zur Erhebung einer Anfechtungsklage beträgt nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO einen Monat. Voraussetzung dafür ist, dass der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das zuständige Gericht und die einzuhaltende Frist nach § 55 Abs. 1 FGO zutreffend belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe zulässig (§ 55 Abs. 2 Satz 1 FGO). Sie ist unrichtig, wenn sie in einer der gemäß § 55 Abs. 1 FGO wesentlichen Aussagen unzutreffend bzw. derart unvollständig oder missverständlich gefasst ist, dass hierdurch -bei objektiver Betrachtung- die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint. Ob das der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder ergänzende Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen[3].

Im Streitfall war die Rechtsbehelfsbelehrung nach diesem Maßstab nicht unrichtig. Sie enthielt die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs[4] zutreffende Aussage, dass der Kläger zur Fristwahrung die Entscheidung (die durch die Einspruchsentscheidung für vorbehaltlos erklärten Steuerfestsetzungen der Streitjahre) nur innerhalb der Klagefrist mit der Klage anfechten konnte. Dass die Rechtsbehelfsbelehrung nicht auch den gesonderten Hinweis enthielt, der Kläger müsse bei Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Rahmen einer Einspruchsentscheidung auch insoweit unmittelbar Klage erheben und könne nach Ablauf der Klagefrist nicht mehr gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO eine Änderung der Bescheide beantragen, führt weder zu einer unzutreffenden noch zu einer unvollständigen oder missverständlichen Rechtsbehelfsbelehrung, die die Möglichkeit des Klägers zur Fristwahrung gefährdet hätte. Der Kläger musste nach der Rechtsbehelfsbelehrung vielmehr davon ausgehen, dass es der Klageerhebung bedurfte, um die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre „offen“ zu halten.

Soweit der Kläger geltend macht, das BFH, Urteil in BFHE 227, 293, BStBl II 2010, 631 verhalte sich zu der hier streitigen Frage der richtigen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 55 FGO nicht und Stellen aus dem Schrifttum anführt, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Der Bundesfinanzhof vermag der vom Kläger zitierten Kommentierung von Seer[5] nur zu entnehmen, dass dieser den Aussagen des BFH, Urteils in BFHE 227, 293, BStBl II 2010, 631 zustimmt; die vom Kläger angeführte Aussage in Rz 47 der Kommentierung äußert sich hingegen nur zur Aufhebung des Vorbehalts außerhalb einer Einspruchsentscheidung. Gleiches gilt für die aktuelle Kommentierung von Heuermann[6]. Die für die Gegenansicht zitierte Fundstelle ist überholt.

Die Rechtsfrage, ob die für eine Einspruchsentscheidung typischerweise verwendete Rechtsbehelfsbelehrung auch dann wortgleich verwendet werden kann, wenn mit der Abweisung des Einspruchs gleichzeitig eine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einhergeht, oder ob in diesem Fall auf die erforderliche Klageerhebung (statt einer Einspruchserhebung) zur Vermeidung eines Rechtsverlusts gesondert hinzuweisen ist, ist nicht abstrakt zu beantworten und in einem Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof daher nicht klärungsfähig. Denn über die Unvollständigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung ist nach dem  dargelegten Maßstab jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall auch nicht entscheidungserheblich und klärungsbedürftig, denn der Kläger hat innerhalb der Einspruchsfrist keinen Einspruch gegen die Aufhebung des Vorbehalts erhoben, sondern erst deutlich später die Änderung der Bescheide der Streitjahre gemäß § 164 Abs. 2 AO beantragt.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. Februar 2021 – VIII B 70/20

  1. BFH, Beschluss vom 01.06.2011 – IV B 33/10, BFH/NV 2011, 1888, Rz 17, 18[]
  2. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.05.2020 – 7 K 7090/18[]
  3. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 1888, Rz 24; BFH, Beschluss vom 26.05.2010 – VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080, Rz 14, zu über den gesetzlich erforderlichen Mindestinhalt hinausgehenden missverständlichen Informationen[]
  4. BFH, Urteile vom 03.09.2009 – IV R 17/07, BFHE 227, 293, BStBl II 2010, 631, unter B.I. 1.; vom 04.08.1983 – IV R 216/82, BFHE 139, 135, BStBl II 1984, 85[]
  5. Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz 54, 59[]
  6. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 164 AO Rz 122 (Stand 08/2019) []

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