Anschlussprüfung – und ihre Erweiterung

Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.

Anschlussprüfung – und ihre Erweiterung

Die Erweiterung einer nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässigen ersten Anschlussprüfung von einem auf drei Jahre bedarf keiner besonderen Begründung.

Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 der Abgabenordnung (AO) eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat[1].

In Bezug auf die Ermessensausübung bei der Anordnung sowie der Durchführung einer Außenprüfung hat sich die Finanzverwaltung durch die Regelungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung -hier der BpO 2000- eine Selbstbindung auferlegt[2]. So hat die Finanzverwaltung in § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000 hinsichtlich des Prüfungsumfangs der zu prüfenden Betriebe ihr Auswahlermessen dahingehend ausgeübt, dass für Großbetriebe i.S. des § 3 BpO 2000 der Prüfungszeitraum lückenlos an den vorhergehenden anschließen soll. Bei anderen Betrieben -zu denen auch der der GmbH gehört- soll der Prüfungszeitraum dagegen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Diese Beschränkung der Prüfung auf drei Besteuerungszeiträume gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 jedoch nicht, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht.

Vorliegend ist eine erste Anschlussprüfung gegeben, für die keine besondere Begründung erforderlich war.

Anschlussprüfungen sind nach § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 zulässig. Weder der AO noch der BpO 2000 ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen[3]. Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe sowie Klein- und Kleinstbetriebe[4]. Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig; weitere Anschlussprüfungen sind nicht ausgeschlossen[5]. § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 lässt Anschlussprüfungen nicht nur ausdrücklich zu, sondern macht sie auch nicht von besonderen Voraussetzungen abhängig[6]. Die Anordnung einer ersten Anschlussprüfung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung[7]. Für eine erste Anschlussprüfung bedarf es zudem keiner besonderen Begründung[8].

Da bei der GmbH aufgrund der Anordnung vom 15.11.2013 die Jahre 2008 bis 2009 geprüft wurden, handelt es sich bei der am 01.12.2015 bestandskräftig angeordneten Prüfung des Jahres 2010 um eine erste Anschlussprüfung. Die dagegen gerichtete Klage wurde von der GmbH zurückgenommen, so dass insoweit eine bestandskräftige Prüfungsanordnung vorliegt (vgl. § 124 Abs. 2 AO).

Die Erweiterung des Prüfungszeitraums dieser ersten Anschlussprüfung durch die Prüfungsanordnung vom 04.12.2017 ist rechtmäßig.

Dem Erlass der streitgegenständlichen Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums steht die Rechtskraft des früheren finanzgerichtlichen Urteils[9] nicht entgegen. Das Finanzgericht hat damit zwar die vorausgegangene Prüfungsanordnung vom 15.11.2013 hinsichtlich des hier gleichfalls betroffenen Prüfungszeitraums der Jahre 2011 und 2012 aufgehoben. Dies ist nach den Feststellungen des Finanzgericht in der den Streitfall betreffenden Vorentscheidung jedoch allein deswegen geschehen, weil Gründe für die Erweiterung des Prüfungszeitraums i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 nicht vorgebracht worden waren. Nur auf diese Begründung erstreckt sich die Rechtskraft dieses Urteils i.S. des § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO[10]. Wie die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen eines Verfahrensmangels nicht den Erlass eines neuen, ggf. auch inhaltsgleichen Verwaltungsakts in einem fehlerfreien Verfahren hindert, so steht auch die Aufhebung der Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch ein rechtskräftiges Urteil dem Erlass einer neuen Prüfungsanordnung nicht im Wege[11]. Eine echte Kassation einer Prüfungsanordnung, wie sie in Gestalt des finanzgerichtlichen Urteils vom 21.02.2017 vorliegt, hindert nicht den Erlass einer neuen Prüfungsanordnung für die betreffenden Besteuerungszeiträume[12].

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat zudem im Streitfall zu Recht die Erweiterung des Prüfungszeitraums für zulässig erachtet[13].

Die am 01.12.2015 für das Jahr 2010 angeordnete erste Anschlussprüfung wurde nach Maßgabe der hier angefochtenen Anordnung vom 04.12.2017 um die Jahre 2011 und 2012 erweitert, so dass die erste Anschlussprüfung nunmehr drei Jahre umfasste, was keiner besonderen Begründung bedurfte.

Es ist nicht ersichtlich, dass die GmbH durch die somit die Jahre 2010 bis 2012 umfassende erste Anschlussprüfung in ermessensfehlerhafter Weise übermäßig belastet würde. Das Finanzamt führte bei der 1998 gegründeten GmbH bisher Außenprüfungen (nur) für die Jahre 2002 bis 2004 sowie 2008 bis 2009 durch. Gegen eine übermäßige Belastung der GmbH spricht zudem, dass -wie das Finanzamt noch in der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019 ausgeführt hat und sich nicht als ermessensfehlerhaft erweist- sich die im Rahmen der Prüfung der Jahre 2008 und 2009 festgestellten Mängel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auch für den Zeitraum 2010 bestätigt hätten und entsprechende Würdigungen für die Jahre 2011 und 2012 nicht auszuschließen seien. Dies indiziert jedenfalls einen entsprechenden Prüfungsbedarf.

Daher liegt auch insoweit auch keine rechtswidrige Umgehung des § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 vor.

Darüber hinaus hat das Finanzamt auch deshalb nicht gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 verstoßen, weil -wovon das Finanzgericht zutreffend ausgegangen ist- jedenfalls im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019 der von dieser Verwaltungsregelung erfasste Fall eines mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungszeitraums nicht gegeben war.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung gemäß § 102 FGO ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h. bezogen auf den Streitfall die Einspruchsentscheidung vom 12.03.2019[14]. Dies gilt auch für Prüfungsanordnungen[15] oder ihre Erweiterung[16].

Gegenteiliges folgt nicht aus § 102 Satz 2 FGO und dem BFH, Urteil vom 27.11.2019[17]. Soweit der Bundesfinanzhof dort in Rz 21 ausgeführt hat, dass eine Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem Entschließungs- oder Auswahlermessen, Über- oder Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen Mängeln in der Sachverhaltsermittlung im Wege einer Ergänzung nach § 102 Satz 2 FGO, mithin im finanzgerichtlichen Verfahren, nicht mehr möglich ist, betrifft dies nicht die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage, ob maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist.

Im hier entschiedenen Streitfall war mithin zu berücksichtigen, dass die Prüfung für die Jahre 2008 und 2009 im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 12.03.2019 bereits abgeschlossen war und die getroffene Prüfungserweiterung jedenfalls durch die in der Einspruchsentscheidung gegebene Begründung gedeckt ist.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 3. August 2022 – XI R 32/19

  1. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 28.09.2011 – VIII R 8/09, BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, Rz 20; vom 15.06.2016 – III R 8/15, BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 15; BFH, Beschluss vom 11.12.2019 – II B 67/18, BFH/NV 2020, 360, Rz 5[]
  2. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 19.08.1998 – XI R 37/97, BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7, unter II. 1.; vom 28.06.2000 – I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447, unter II. 2.; BFH, Beschluss in BFH/NV 2020, 360, Rz 5[]
  3. vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 17; BFH, Beschluss vom 15.10.2021 – VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97, Rz 6[]
  4. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2022, 97, Rz 6[]
  5. vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 19; BFH, Beschlüsse vom 09.11.2010 – VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297, Rz 15; in BFH/NV 2022, 97, Rz 7[]
  6. vgl. BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 25[]
  7. vgl. zur zweiten Anschlussprüfung BFH, Urteil in BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 22 ff.[]
  8. vgl. BFH, Beschlüsse vom 29.05.2007 – I B 140/06, BFH/NV 2007, 2050, unter 1.a; vom 19.11.2009 – IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595, unter II. 1.b cc[]
  9. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.02.2017 – 6 K 6153/16[]
  10. vgl. z.B. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 110 FGO Rz 59 ff.[]
  11. vgl. BFH, Urteile vom 07.11.1985 – IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, unter 1.; vom 20.10.1988 – IV R 104/86, BFHE 155, 4, BStBl II 1989, 180, unter 1.; vom 14.09.1993 – VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II. 1.[]
  12. vgl. auch Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 110 Rz 47[]
  13. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.09.2019 – 3 K 3090/19[]
  14. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 23.11.2000 – III R 52/98, BFH/NV 2001, 882, unter 1.; vom 12.08.2009 – XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393, unter II. 2.b; vom 14.12.2021 – VII R 14/19, BFH/NV 2022, 401, Rz 22; Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz 77 und § 102 FGO Rz 7; Lange in HHSp, § 102 FGO Rz 61; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 102 Rz 13[]
  15. vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395, unter II. 1.d[]
  16. vgl. BFH, Urteile vom 01.08.1984 – I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350, unter II. 1.b bb; vom 28.04.1988 – IV R 106/86, BFHE 153, 210, BStBl II 1988, 857, unter 4.; in BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7, unter II. 1.; BFH, Beschluss vom 27.10.2003 – III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c[]
  17. BFH, Urteil vom 27.11.2019 – XI R 56/17, BFH/NV 2020, 775[]

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